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Sommerreihe: Starke Frauen – Kaija Saariaho

Hypnotisierende Klangbilder

Am Pariser IRCAM entdeckte die selbstkritische Komponistin Kaija Saariaho ungeahnte Klangmöglichkeiten, die ihre Werke bis heute prägen

vonJulia Hellmig,

Pünktlich vor Weihnachten erreichte Helsinki die frohe Botschaft: Das 2011 erbaute „Musiikkitalo», ein modernes Konzerthaus, das von Star-Akustiker Yasuhisa Toyota den letzten Schliff bekommen hat, soll nun endlich seine eigene Orgel bekommen. Dank einer Großspende kann das bislang noch mangels Finanzierung fehlende Instrument in Auftrag gegeben werden und soll im Jahr 2021 fertiggestellt sein. Die großzügige Spenderin ist die am 14. Oktober 1952 in Helsinki geborene Komponistin Kaija Saariaho.

Das Geld stammt aus dem Erbe ihres Vaters, eines Unternehmers, der seine Firma Anfang letzten Jahres verkauft hat. Ihr musisches Talent erbte Saariaho also nicht unbedingt von ihren Eltern, sondern sie verschaffte sich vielmehr aus eigener Kraft und eigenem Interesse heraus einen Zugang zur Musik. Schallplatten, Radio, aber auch die Natur mit ihren Geräuschen faszinierten sie seit frühester Kindheit.

Schon früh engagierte sich Saariaho ehrenamtlich: Während ihres Kompositionsstudiums bei Paavo Heininen an der Sibelius-Akademie in Helsinki gründete sie mit ihren Studienkollegen „EarsOpen!“. Die Vereinigung organisierte nicht nur Konzerte in Kindergärten und Gefängnissen, sondern brachte zudem zeitgenössische Musik nach Finnland.

Kaija Saariaho will und muss komponieren

Kaija Saariaho
Kaija Saariaho © Christophe Abramowitz

Doch Engagement hin oder her: In der Akademie wurde sie mit der bitteren Realität konfrontiert, wie schwer es für Frauen ist, sich als Komponistinnen zu behaupten. In den frühen 1970er Jahren war Saariaho die einzige Frau in ihrer Klasse. Doch sie wich nicht von ihrem Weg ab: Sie wollte, mehr noch, sie musste komponieren. Und sie wusste auch, wie ihre Musik nicht sein sollte, trotz des vorherrschenden Drucks durch die Akademie, die an den konventionelleren Archetypen der Moderne festhielt. Doch an der Umsetzung ihrer Vorstellungen haperte es noch.

Nachdem sie die Sibelius-Akademie absolviert hatte, studierte sie Komposition an der Freiburger Musikhochschule bei Brian Ferneyhough und Klaus Huber. Außerdem besuchte sie die Darmstädter Ferienkurse. Erst in den Arbeiten von Gérard Grisey und Tristan Murail, den französischen Spektralisten, die das harmonische Potential der Obertonreihe untersuchten, fand sie einen möglichen Ausweg aus dem modernistischen Diktat, das für sie nur Einschränkungen in der Tonsprache bereit hielt.

Ihre wahre Heimat fand Kaija Saariaho in Paris

Ihre wahre Heimat fand Saariaho schließlich Anfang der 1980er Jahre in Paris, genauer gesagt unterhalb von Paris: In den elektroakustischen Experimentierräumen des IRCAM unterhalb des Centre Pompidou. Das Institut de Recherche et Coordination Acoustique/Musique zählt zu den weltweit größten unabhängigen Forschungsinstituten und widmet sich zeitgenössischer Musikproduktion und wissenschaftlicher Forschung.

Kaija Saariaho
Kaija Saariaho © Christophe Abramowitz

Dort entdeckte die selbstkritische Komponistin ungeahnte Möglichkeiten. Vor allem Computertechnologien, die es ihr ermöglichten, akustische Phänomene zu realisieren. Und zwar Phänomene, die sie in ihrem ganz eigenen, persönlichen musikalischen Universum hörte. Die daraus entstandenen Stücke wie „Verblendungen” und vor allem „Lichtbögen“ sind die Ergebnisse ihres neuen, computergestützten und live-elektronischen Klangdenkens.

Diese Stücke sollen die Verbindungen zwischen echten Musikern und der Welt der elektronischen Klänge so nahtlos wie möglich machen. „In meiner Musik erwarte ich von den Musikern, dass sie etwas mit ihrem Geist und ihrem Körper fühlen und die Musik mit diesem Gefühl den Hörern vermitteln.“

Nur wenige Komponisten schaffen Klangbilder mit solch einer hypnotisierenden Verve. Diese Anziehungskraft haben fast alle Stück der Finnin: Sei es eine ihrer leuchtenden und zugleich dramatischen Opern wie „L’Amour de Loin“ oder „Adriana Mater“, die orchestralen Klang- und Kosmos-Landschaften eines „Orion“ oder ihre kammermusikalischen Ensemblewerke „Nymphéa“ und „Lichtbögen“ – Saariahos Werke ziehen den Hörer in ihren Bann. In dieses Ich-weiß-nicht-was-es-ist-Gefühl, dass fremd und bekannt zugleich wirkt. Und das für jeden Hörer zur freien Interpretation steht.

Hören Sie Kaija Saariahos Werk „Nymphéa“:

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