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Interview Roberto Rizzi Brignoli

„Ich würde mich eher als streng bezeichnen“

Roberto Rizzi Brignoli, der neue Generalmusikdirektor am Nationaltheater Mannheim, stellt sich vor.

vonIrem Çatı,

Während Europa von einer Hitzewelle überrollt wird, trägt Dirigent Roberto Rizzi Brignoli zu unserem Zoom-Gespräch eine dünne Daunenjacke. „In Chile ist gerade Winter“, erklärt er lachend. Dort ist der italienische Maestro, der nach seinem Klavier-, Kompositions- und Dirigierstudium in Mailand mit Riccardo Muti an der Scala gearbeitet hat, Generalmusikdirektor. Mit Beginn dieser Saison bekleidet er das gleiche Amt am Nationaltheater Mannheim.

Sie sprechen fließend Italienisch, Spanisch und Französisch. Kommt jetzt bald auch Deutsch dazu?

Roberto Rizzi Brignoli: Ich habe schon viel in Deutschland gearbeitet, aber jetzt als Generalmusikdirektor in Mannheim suche ich eine Sprachschule, um ein bisschen Deutsch zu lernen. Manchmal reicht es, Englisch oder sogar Italienisch zu sprechen, weil es so viele italienische Begriffe und Texte in der Musik gibt. Aber wie gesagt, mit der neuen Position sehe ich mich auch in der Verantwortung, Deutsch zu sprechen. Ich habe gemerkt, dass man schnell die Grammatik und die Stellung der Verben vergisst, wenn man nicht jeden Tag übt, aber auch, dass man sich schnell wieder an Wörter erinnert, wenn man in Deutschland ist.

Seit 2020 sind Sie Generalmusikdirektor in Santiago de Chile und fangen jetzt in der gleichen Position in Mannheim an. Wo ist Ihr Lebensmittelpunkt?

Rizzi Brignoli: Ich komme aus Bergamo und habe dort immer noch mein Zuhause. Es ist eine kleine Stadt, nicht zu vergleichen mit Paris, Berlin oder Santiago de Chile, aber eine sehr hübsche und niedliche kleine Stadt mit einem historischen Kern und einer wunderschönen Altstadt. Dort bin ich geboren, wie schon Gaetano Donizetti, und halte gerne die Beziehung zu meiner Heimat aufrecht. Leider bin ich nur sehr selten da, weil ich so viel arbeite und jetzt noch zwischen Chile und Deutschland hin und her pendeln werde.

Sie haben schon mehrere Opern in Mannheim dirigiert. Was hat Sie am Orchester so überzeugt, dass Sie nun dessen Leitung übernehmen?

Rizzi Brignoli: Ich habe 2016 in Mannheim die Wiederaufnahme von Verdis „Otello“, später die Neuproduktion von „Il trovatore“ und im letzten Jahr vom „Freischütz“ sowie Beethovens dritte Sinfonie in Mannheim dirigiert. Und ich sage Ihnen ganz ehrlich: Für mich ist es eine sehr große Ehre, dass das Nationaltheater mich als sechzigjährigen Italiener ausgewählt hat, denn ich bin kein junger Dirigent mehr. Ich weiß nicht, ob es heutzutage wichtiger ist, vierzig Jahre an Erfahrung mitzubringen oder jung zu sein. Ich kenne nämlich sehr viele junge Dirigenten, die großes Talent haben. Dennoch bereitet es mir ein wenig Sorgen, wenn ich sehe, dass sie in so jungen Jahren schon so verantwortungsvolle Posten wie den eines GMDs übernehmen. Denn es geht nicht nur um das Dirigieren, es gibt drumherum so viele andere Sachen und Probleme – nicht unbedingt im negativen Sinne –, so viel zu managen und so viele Menschen, mit denen man zusammenarbeitet.

Roberto Rizzi Brignoli will dem Mannheimer Publikum das italienische Repertoire näher bringen
Roberto Rizzi Brignoli will dem Mannheimer Publikum das italienische Repertoire näher bringen

Würden Sie einem jungen Dirigenten also abraten, eine solche Stelle anzunehmen?

Rizzi Brignoli: Natürlich nicht! Es geht lediglich um die Erfahrung. Ich habe gesehen, dass es viele Dinge zu lernen gibt, die man sich nur aneignen kann, indem man jahrelang in Opern und mit Orchestern arbeitet. Ich versuche aber immer Nachwuchstalenten zu helfen, so auch in Santiago de Chile, wo wir eine Art Akademie haben, in denen junge Musiker ausgebildet werden und dann Konzerte und Opern mit unserem Philharmonischen Orchester spielen dürfen, denn auch ich war jung, und mir hat die viele Arbeit mit Orchestern weltweit geholfen, eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln. Unsere Türen stehen Nachwuchsmusikern, aber auch einem jungen Publikum immer sehr weit offen. Und ich lerne immer wieder etwas Neues, denn die jungen Leute haben immer neue Ideen und stecken so voll Energie.

Sie haben gerade von Ihrer Persönlichkeit gesprochen. Erzählen Sie mir davon.

Rizzi Brignoli: Als Musiker lege ich sehr ­großen Wert auf die Klang­qualität. Daran habe ich schon gearbeitet, als ich Assistent bei Riccardo Muti an der Mailänder Scala war, und ich erwarte die von mir gewünschten Details oder die Klangfarben, die ich mir vorstelle, auch zu bekommen. Ich habe außerdem eine sehr strikte Arbeitsdisziplin und Arbeitsmoral: Ich schaue während der Proben beispielsweise nicht auf die Uhr, ich übe mit Opern-Solisten sehr detailliert am Klavier und gebe mein Wissen gerne an junge Musiker weiter. Ich würde mich eher als streng bezeichnen, das heißt, ich erwarte Respekt von den Musikern, aber ich selbst ­respektiere sie und ihr Talent auch sehr. Und natürlich lebe ich das italienische Repertoire von Kindesbeinen an.

Gibt es Dinge, die Sie von Ihrem Vorgänger Alexander Soddy in Mannheim übernehmen oder auch anders machen wollen?

Rizzi Brignoli: Ich werde nicht alles verändern. Im Gegenteil: Ich habe Alexander kennengelernt und muss ihm für seine großartige Arbeit danken. Warum also alles verändern? Stattdessen möchte ich die Kontinuität weiterführen, aber natürlich hat jeder Dirigent seinen eigenen Stil, bei uns herrscht keine Copy-Paste-Mentalität. Die Schwierigkeit wird werden, Stücke zu finden, die das ­Orchester noch nicht kennt, denn es hat eigentlich schon alle großen sinfonischen Werke gespielt (lacht). Das wird also meine große Herausforderung werden.

Gibt es bestimmte Projekte, die Sie in Mannheim gerne verwirklichen wollen?

Rizzi Brignoli: Ich möchte gerne alle neun Beethoven-Sinfonien auf die Bühne bringen, wir sind gerade dabei zu schauen, ob das möglich ist, denn es soll kein langfristig angelegtes Projekt werden, sie sollen alle innerhalb eines Monats oder weniger Wochen aufgeführt werden. Das habe ich einmal bei Muti miterlebt und es war großartig. Es ist eine außergewöhnliche Lebens- und Musik­erfahrung für das Orchester, aber auch das Publikum, wie ich finde.

Neben der Musik ist Fußball seine große Leidenschaft: Roberto Rizzi Brignoli
Neben der Musik ist Fußball seine große Leidenschaft: Roberto Rizzi Brignoli

In Ihrem Antrittskonzert der Musikalischen Akademie des Nationaltheater-Orchesters bringen Sie dem Publikum mit Werken von Verdi, Casella und Respighi Ihre Heimat Italien näher. Was haben Sie musikalisch noch geplant?

Rizzi Brignoli: Ich bin der erste italienische GMD in Mannheim, also haben ich mit der Musikalischen Akademie überlegt, warum nicht auch ein komplett italienisches Programm präsentieren? Meine musikalische Visitenkarte sozusagen. Da darf für mich Verdi natürlich nicht fehlen, weil ich schon fast alle seine Opern dirigiert habe. Und mit Casella und Respighi haben wir noch zwei Komponisten reingenommen, die ich sehr mag und die wirklich toll, aber weniger bekannt sind. Auf diesem Repertoire wird der Schwerpunkt meines ersten Jahres liegen. Es sind aber auch deutsche und französische Programme geplant. Ich würde gerne noch Richard Strauss’ „Sinfonische Dichtungen“ und auf jeden Fall Mahler in den Akademiekonzerten aufführen.

Komponieren Sie auch?

Rizzi Brignoli: Ich würde gerne wieder damit anfangen. Als ich jung war, habe ich einige Sachen komponiert, aber diese Arbeit braucht Zeit, viel Zeit, und ich habe mich damals dann fürs Dirigieren entschieden. Aber jetzt in meinem Alter würde ich gerne ein paar Dinge nach meinem Geschmack komponieren, nicht unbedingt, um später ein Konzert nur mit meinen Werken zu geben.

Was machen Sie, wenn Sie gerade keine Musik machen?

Rizzi Brignoli: Ich liebe Fußball. Als Kind habe ich sehr viel Fußball gespielt und hätte wahrscheinlich sogar ein professioneller Spieler werden können, habe mich dann aber für die Musik entschieden. Aber der Sport ist doch immer ein Teil meines Lebens geblieben. Heute gucke ich natürlich nur noch und ich kann mich dabei sehr gut entspannen. Außerdem lese ich sehr viel, mag Kunst und gucke gerne Filme und Serien.

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