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Interview Joana Mallwitz

„Die Chemie stimmt“

Joana Mallwitz über ihren Start beim Berliner Konzerthausorchester, „Tristan“-Fieber und einen Komponisten, den sie bisher gemieden hat.

vonJakob Buhre,

In ihren Jahren als Generalmusikdirektorin in Erfurt und Nürnberg hat sich ­Joana Mallwitz einen hervorragenden Ruf erarbeitet. Nun kann man die Dirigentin regelmäßig in Berlin am Gendarmenmarkt erleben, auch aus nächster Nähe. Denn Mallwitz persönlich wird vor ihren Sinfoniekonzerten auch die Werk­einführungen bestreiten. Auf welche Neuerungen man außerdem gespannt sein darf, verrät sie im Interview.

Frau Mallwitz, wie Orchester ihre Chefpositionen besetzen, bleibt der Öffentlichkeit meist verborgen. Wie kam es dazu, dass Sie neue Chefdirigentin des Konzerthausorchesters wurden?

Joama Mallwitz: Sebastian Nordmann, der ­Intendant des Konzerthauses, besuchte vor einiger Zeit mein Debüt im Wiener Konzerthaus und lud mich im Anschluss für Projekte zum Konzerthaus­orchester ein. Er wusste damals sicher schon, dass bald die Suche nach einem neuen Chef ansteht. Wir haben dann zum Kennenlernen Schuberts Große C-Dur-Sinfonie und später noch Tschaikowskys „Pathéthique“ gegeben, mit Live-Stream in die ganze Welt. ­Danach gab es vom Orchester ein Votum, das zu meinen Gunsten ausfiel, und auch für mich hat sich das Konzerthaus Berlin genau richtig angefühlt: Es ist der Ort, wo ich jetzt sein möchte, die Chemie mit den Musikern stimmt und ich kann mir vorstellen, mit ihnen etwas zu entwickeln.

An Ihrem letzten Wirkungsort Nürnberg gibt es zwei Orchester, in Berlin dagegen verliert man fast den Überblick über die Klangkörper. Was bedeutet das für Sie?

Mallwitz: Das ist eine Herausforderung, aber auch eine riesige Inspirationsquelle. In Berlin wird jeden Tag so viel Musik, Kunst und Kultur auf höchstem Niveau angeboten – ich glaube, das hat auch den Effekt, dass die Menschen einen noch größeren Durst haben, etwas zu erleben, berührt und mitgenommen zu werden. Ich denke, dass die Orchester in Berlin sich gegenseitig inspirieren und auch antreiben.

Also eine Art wohlwollende Konkurrenz?

Mallwitz: Natürlich kämpfen alle um die Aufmerksamkeit des Berliner Publikums. Für mich ist das ein Ansporn, gleichzeitig bin ich gespannt auf den Austausch untereinander. Früher als Studentin fand ich es immer wunderbar, wenn ich im Zuschauer­raum bei Proben Chefdirigenten anderer Orchester gesehen habe, wenn dort so eine Verbundenheit, gegenseitiges ­Interesse und Unterstützung herrscht.

„Zunächst werden wir unseren Stil entwickeln“, sagt Dirigentin Joana Mallwitz
„Zunächst werden wir unseren Stil entwickeln“, sagt Dirigentin Joana Mallwitz

Was sind für Sie die Alleinstellungsmerkmale des Hauses am Gendarmenmarkt?

Mallwitz: Das Konzerthaus hat sich in den letzten Jahren als sehr ­experimentierfreudig erwiesen, in Bezug auf die verschiedenen Aufführungsformen, es gibt einen guten Grundstock an Risikobereitschaft, Offenheit und Neugierde, das gefällt mir. Noch wichtiger für mich ist aber das Orchester selbst und dessen Tradition: Es verbindet zwei Pole, da ist zum einen dieser traditionelle, dunkle, mittelstimmige Klang, mit großer Wärme, tragendem Cantabile, auch mit Herbheit – gleichzeitig haben sie eine sehr frische Musizierweise, eine große Liebe zu Detail, Tempo und Artikulation. Das ist eine Kombination, die ich überall beim Musizieren suche. Und nicht zuletzt spielt auch die Schönheit des Saales eine Rolle.

Sie haben in den letzten Jahren ein sehr breites Spektrum von Werken dirigiert. Gibt es nun bestimmte Schwerpunkte, die Sie am Konzerthaus setzen wollen?

Mallwitz: Es gibt kein Repertoire, das ich ausschließe, insofern bleibe ich bei meinem breiten Spektrum. Wichtig und entscheidend ist aber auch bei aller Experimentierfreude, dass man sich über das Kernrepertoire definiert. Deshalb werde ich in Berlin viel Mahler dirigieren, immer wieder auch Brahms und Beethoven. In der ersten Spielzeit werden wir einen Fokus auf die frühen Werke von Kurt Weill legen und seine beiden Sinfonien aufführen, die immer noch nicht so bekannt sind, wie sie es eigentlich verdient hätten. Ein großes Thema wird auch die Musik von Mozart und Haydn sein. Wir planen eine Aufnahme der „Schöpfung“, allerdings erst zu einem späteren Zeitpunkt, zunächst werden wir gemeinsam unseren Stil entwickeln.

Zu Ihrem Stil gehört es bekanntlich auch, dass Sie bestimmte Konzerte unterhaltsam moderieren, vom Pult aus über die Werke sprechen …

Mallwitz: Sie meinen die „Expeditionskonzerte“? Ja, dieses Format bringe ich von Nürnberg mit nach Berlin. Darü­ber hinaus werde ich vor den Sinfonie­konzerten, die ich dirigiere, die Werkeinführungen selbst übernehmen.

Joana Mallwitz wird auch für ihre Nahbarkeit gegenüber dem Publikum geschätzt
Joana Mallwitz wird auch für ihre Nahbarkeit gegenüber dem Publikum geschätzt

Das machen nicht viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen.

Mallwitz: Ich habe das in Erfurt und Nürnberg bereits getan und dabei gemerkt, wie viel Nähe es schafft – zwischen mir und dem Publikum und zwischen dem Publikum und der Musik. Wobei ich dort jetzt keine musik­wissenschaftlichen Vorträge halte, sondern zum Beispiel meine persönliche Beziehung zu dem Stück erkläre oder erläutere, warum wir ein Werk so oder so interpretieren.

Was hat es mit den „Night Sessions“ auf sich, die im Konzerthaus zukünftig auf dem Programm stehen?

Mallwitz: Das ist ein ganz neues Format, das etwas später beginnt. Es wird unbekanntere Musik zu hören sein, aus allen Genres und Epochen – und es wird immer ein Gast dabei sein, der nicht aus der klassischen Musik kommt, mit dem man sich austauscht. Mein Wunsch ist, dass es Abende werden, die die Zuhörer – und auch mich selbst – inspirieren, ihnen Musik nahebringen, mit der sie vorher vielleicht noch nie Berührung hatten.

Im Konzerthaus kann man bereits mittags „Espresso“-Konzerte besuchen oder bei „Mittendrin“-Aufführungen zwischen den Musikern sitzen. Gibt es da überhaupt noch Spielraum für neue Konzertformate?

Mallwitz: Ja, sicherlich. Nicht jedes Format ist für die Ewigkeit gemacht, aber durch das Experimentieren und Ausprobieren entsteht immer eine gewisse Energie, die sich auf das Publikum überträgt. Und alle ­Angebote sollen natürlich dazu führen, Leute ins Haus zu ­holen, am Ende eben auch in das Sinfoniekonzert, in die „normale Vorstellung“, die ja der Kern unserer Arbeit ist und bleibt. Das ist dann am Ende der ­allerstärkste Moment, den man auch tunlichst nicht verwässern darf.

Als Sie 2014 in Erfurt antraten, waren Sie mit 27 die jüngste Generalmusikdirektorin Europas. Gab oder gibt es Werke, an die Sie sich aufgrund des Alters noch nicht herangetraut haben?

Mallwitz: Für mich hat so etwas weniger mit dem Alter zu tun als mit Bauchgefühl. Ist es ein Werk, bei dem ich eine innere Dringlichkeit verspüre, mit dem ich etwas Bestimmtes ausdrücken möchte? Es gibt schon Werke oder Komponisten, die ich ­bislang eher vermieden habe, wo ich auch nicht weiß, ob das vielleicht eine Typ-­Frage ist …

Zum Beispiel?

Mallwitz: Ich habe bisher noch keinen Bruckner dirigiert, werde das in den nächsten Jahren auch nicht machen. Aber wer weiß, was noch kommt. Ein Werk, das Ihrer Frage vielleicht gerecht wird, ist der „Tristan“. Es ist vermutlich die Wagner-Oper, die ich am besten kenne, dirigiert habe ich sie aber noch nie. Ich war schon in meiner Studienzeit in einem regelrechten „Tristan“-Fieber, habe jeden Tag den Klavierauszug rauf und runter gespielt, bin zu jeder Probe gepilgert, habe es auch schon mehrfach assistiert. Und doch habe ich es nie forciert, die Oper selbst zu dirigieren. Irgendwann muss ich ihn dirigieren, das steht fest. Aber womöglich brauche ich bis dahin noch eine gewisse „Abkühlung“. Vielleicht kommt die ja mit dem Alter.

CD-Tipp

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