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Interview Jan Caeyers

„Dann fiel mir der erste Satz ein“

Eigentlich wollte der Dirigent und Musikwissenschaftler Jan Caeyers ein kleines Manifest über Beethoven schreiben. Jahre später war er damit fertig: Es hatte 800 Seiten und ist das aktuelle Standardwerk über Leben und Wirken des Komponisten.

vonTeresa Pieschacón Raphael,

Sie promovierten über eine theoretische Abhandlung von Jean-Philippe Rameau, seinem „Traité de l’harmonie“ von 1722. Wie kam dann die Liebe zu Beethoven?

Jan Caeyers: Es war gar nicht so einfach zu entscheiden, was ich werden wollte. Ich war ein guter Fußballspieler und sehr gut im mathematischen Zweig. Meine Eltern erwarteten, dass ich Ingenieur werde. Aber ich spürte, dass ich nicht glücklich werde, wenn ich Musik nur als Hobby betreibe. So wurde ich zunächst Musikwissenschaftler und Professor für Musikanalyse an der Universität Löwen. Zugleich war ich auch praktischer Musiker, studierte an der Musikhochschule Wien Orchesterleitung und am Konservatorium in Antwerpen Flöte. So einfach war das allerdings nicht, denn dies sind zwei Arten zu leben und zu denken. Den Musikern ist man suspekt, weil man ein Intellektueller ist, und den Intellektuellen ist wiederum der Künstler suspekt. Teilweise muss man einräumen, dass es bei den Akademikern viele Metadiskussionen gibt, die trotz der intellektuellen Leistung dann doch nicht weiterführen.

Bereits in den achtziger Jahren schienen Sie sich mehr als Musiker zu fühlen: Sie gründeten das Nieuw Belgisch Kamerorkest und später die belgische Beethoven Academie.

Caeyers: Ich gab die akademische Karriere teilweise auf, begann außerdem, als Assistent von Claudio Abbado beim Gustav Mahler Jugendorchester in Wien zu arbeiten. Dort kam ich auch mit Bernard Haitink und Pierre Boulez zusammen. Das war faszinierend. Und dann kam man wieder zur Uni und es wirkte alles befremdlich. Es gab zudem diverse Krisen, auch mit meinem Orchester. Und ich fing von Neuem an. 2010 gründete ich das neue, in Antwerpen residierende Beethovenorchester Le Concert Olympique. Mit ihm setze ich alle Erkenntnisse meiner Beethoven-Biografie um. Mit meinem Buch ist es mir gelungen, die beiden Disziplinen auf eine Linie zu bringen.

Wo und mit was fängt man eigentlich an, wenn man beschließt, ein 800 Seiten langes Buch über den bekanntesten aller Komponisten zu schreiben?

Caeyers: Eigentlich wollte ich 2003 nur ein Manifest schreiben mit meinen Visionen über Beethoven – allenfalls zweihundert Seiten lang.

Warum ausgerechnet über Beethoven?

Caeyers: Das ist fast ein persönliches Schicksal. Mein Vater war Sportlehrer und gleichzeitig ein großer Musikliebhaber. Er spielte sehr gut Klavier und war auch als solcher während des Krieges aufgetreten. Beethovens „Appassionata“ war mir als Kind sehr vertraut. Ich bin aber erst viel später dahintergekommen, wie außergewöhnlich das Stück ist. Beethovens Musik vermag die beiden Parameter „das Emotionale“ und „das Intellektuelle“ zu verbinden, die sich bei vielen anderen Komponisten oft ausschließen. Seine Musik kann emotional sein, wird aber nie entgleisen. Immer gibt es auch einen logischen Schluss. Über die „Appassionata“ kann man stundenlang diskutieren, ihre Konstruktion analysieren. Und trotzdem ist man danach immer noch ergriffen, wenn man das Werk hört.

Tausend Bände über Beethoven sollen Sie besitzen.

Caeyers: In jeder Stadt, in der ich war, habe ich Bücher über Beethoven gekauft. Für mein Buch brauchte ich nicht mehr in die Bibliothek zu gehen, konnte Tag und Nacht hier arbeiten. Dann fiel mir der erste Satz ein…

… „Mechelen, Samstag, 29. März 1727. Michiel van Beethoven sinnt über sein Leben nach…“ Sie fangen also mit Beethovens Großvater an.

Caeyers: Hätte ich gewusst, dass das Buch so umfangreich wird und ich über Jahre hinweg daran schreiben würde, hätte ich wohl nie damit angefangen. Ich habe auch nie geahnt, dass dieses Buch über Belgien hinaus einmal so bekannt werden würde. Aber dann kam die deutsche Übersetzung und die war ein wirklich großer Erfolg. Hätte ich das gewusst, dann hätte ich mich vielleicht auch nicht getraut.

In vielen Beethoven-Biografien wird der Komponist heroisiert. Bei Ihnen aber ist er kein Held, kein Titan, kein Monument, sondern ein hochinteressanter musikalischer Aufsteiger.

Caeyers: Ich habe das Buch geschrieben mit der Kenntnis eines Wissenschaftlers, aber auch der Seele des Musikers. Ich habe versucht, mich in sein Leben hineinzuversetzen mit all den Einflüssen, die ihn umgeben haben.

Sie schildern einen außergewöhnlich begabten Mann, der sich innerhalb von „Netzwerken“, bewegt, seine Karriere plant und gezielt an Klavierduellen teilnimmt. Doch das will alles nicht ins Bild des Genies passen. Wie viele böse Leserbriefe haben Sie bekommen?

Caeyers: Eigentlich keinen, aber vielleicht haben die Menschen mir nicht gesagt, was sie wirklich dachten.

Anders gefragt: Warum brauchen so viele Menschen den Geniekult um Beethoven?

Caeyers: Da bin ich etwas überfragt, denn da kommen wir in psychologische, anthropologische Dimensionen. Beethoven starb 1827, in dem Jahrhundert, in dem das Bürgertum immer mehr die gesellschaftliche Macht erlangt. Der soziale Aufstieg ist jetzt für sehr viel mehr Menschen möglich, etwa durch Talent und durch Leistung, anders als in all den vorherigen Jahrhunderten, die von der Aristokratie bestimmt waren. Das Interesse an Kultur, an Bildung, an Biografien ist groß. Es wird nicht mehr nur über Beethoven gesprochen, sondern eben auch geschrieben. Und auch so kann sich ein Mythos bilden.

Zu seinem Geniekult hat Beethoven auch selbst beigetragen: „Was kümmert mich seine elende Fiedel, wenn der Geist zu mir spricht?“, soll Beethoven den Geiger Ignaz Schuppanzigh angefahren haben.

Caeyers: Wenn man das Enigma dieses Komponisten zu entziffern versucht, dann hat es viele Facetten. Da ist die außergewöhnliche Begabung, die tatsächlich die Dimensionen eines Genies hat. Da ist aber auch ein sehr großes Selbstbewusstsein …

… mit dem er um Leibrenten kämpft, mit Verlegern taktiert, Kritikern droht, die Honorare in die Höhe treibt.

Caeyers: Er hat es auch deshalb so weit gebracht, weil er ein guter Manager war. Das kann eben auch Teil eines Talents sein. Es gibt einige große Musiker, die zu ihren Lebzeiten kaum bekannt waren, weil sie dieses Talent nicht hatten. Und umgekehrt.

Wunderbar an Ihrem Buch ist, dass es keine psychologischen Spekulationen gibt, wie das heute leider fast ausschließlich in Biografien der Fall ist.

Caeyers: Es freut mich sehr, dass Sie das so empfinden. Ich bin sehr geprägt worden von der Lektüre von Egon Friedells „Kulturgeschichte der Neuzeit“ – einem für Akademiker atypisches Buch. Er schreibt, dass es unmöglich ist, die Geschichte zu rekonstruieren, und schon gar nicht, die Psychologie etwa eines Beethovens zu erfassen. Jede Deutung bleibt subjektiv und deshalb ist die Distanz umso wichtiger.

Nur der Untertitel „Der einsame Revolutionär“ passt nicht so ganz. Beethoven konnte zwar kräftig gegen den Wiener Hochadel austeilen. Zugleich schaffte er sich schöne Kleidung und eine Perücke an, besuchte den Tanzmeister, ging auf Bälle in die Palais und widmete die meisten Werke Standespersonen von Rang.

Caeyers: Auch ich war nicht glücklich mit diesem Titel, verstand aber, nachdem ich ja auf dem Markt ein absolut unbekannter Autor war, dass man auch daran denken musste, wie man das Buch vermarktet. Der Verlag hat mich ansonsten sehr sehr gut betreut.

Welcher Komponist ist demnächst dran?

Caeyers: Keiner. Es gibt keinen zweiten großen Komponisten, der in einem so spannendem Umfeld lebte und wirkte – auch was die gesellschaftliche Entwicklung seiner Zeit anbelangt. Mein Buch ist auch deshalb so gut, weil das Thema so gut ist. Außerdem gibt es keinen anderen Komponisten, zu dem ich eine so intensive Beziehung habe.

Buch-Tipp

Album Cover für Beethoven – Der einsame Revolutionär

Beethoven – Der einsame Revolutionär

Jan Caeyers C. H. Beck, 833 Seiten 25 Euro

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