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Blind gehört Goldmund Quartett

„Wir sollten das auch mal spielen!“

Das Goldmund Quartett hört und kommentiert Aufnahmen von Kollegen, ohne dass es weiß, wer spielt.

vonSusanne Bánhidai,

Kurz vor ihrem Konzert in der Elbphilharmonie fanden die vier Streicher des Goldmund Quartetts zur besonderen Hör-Session zusammen: ehrgeizig beim Rätseln, harmonisch bei stilistischen Fragen, kritisch – und zu Scherzen aufgelegt.

Mozart: Quartett C-Dur KV 465 „Dissonanzen“ – 4. Adagio

Quatuor Mosaïque
Naïve 2001

Pinchas Adt: Das Dissonanzen-Quartett von Mozart.

Raphael Paratore: Es ist auf jeden Fall sehr, sehr schön gespielt. Das Stück ist wegen der Dissonanzen heikel in der Intonation. Das ist hier genial. Wir haben das Quartett in einem großen Wettbewerb gespielt. Wenn man sehr aufgeregt ist, kann es wirklich unangenehm zu spielen sein.

Christoph Vandory: Es könnte das Quatuor Ébène sein. Die erste Geige klingt schön, ist aber nicht so kreativ wie Pierre Colombet.

RP: Ist es das Hagen Quartett?

CV: Ach, das Quatuor Mosaïque? Ich bin sonst nicht so ein Fan von diesem Quartett.

PA: Diese Aufnahme ist doch superschön!

Bartók: Streichquartett Nr. 4 Sz 91 – 4. Allegretto pizzicato

Keller Quartett
Warner 1995

Florian Schötz: Es ist sehr schwer zu erkennen, wer spielt, wenn gezupft wird. Wir sagen erstmal, dass wir immerhin das Stück erkannt haben! Es ist Bartóks viertes Streichquartett, vierter Satz.

PA: Rhythmisch sind sie akkurat zusammen, was sehr schwierig ist.

RP: Es ist nicht exzentrisch gespielt, eher klangschön.

CV: Es ist keine Live-Aufnahme. Sie ist auch nicht ganz neu, denn der Trend bei den jüngeren Quartetten geht eher in Richtung einer extremeren Klanglichkeit beim Pizzicato.

FS: Das Jerusalem Quartett?

RP: Vielleicht die ältere Generation ungarischer Quartette? Takács? Kodály?

PA: Budapest Quartett!

RP: Nein, das würde noch älter klingen. Wir sind nah dran. Das Keller Quartett! Ach was! Wir haben mit András Keller das dritte Quartett von Bartók erarbeitet, vor etwa fünfzehn Jahren in Aix-en-Provence. Er sagte diesen einprägsamen Satz, den wir immer noch gerne wiederholen. „Ich muss die Musik Béla Bartóks verteidigen.“ Das ist seine Lebensaufgabe.

PA: Er hat uns beigebracht, dass man Bartók nicht so hart spielen muss und auch viel über die Aussprache der ungarischen Sprache.

Beethoven: Streichquartett Nr. 14 a-Moll op. 132 – 3. Canzona

Hagen Quartett
Deutsche Grammophon 2005

RP: Es ist sicher nicht das Ébène Quartett, die spielen das im halben Tempo. Bei diesem Satz von Beethoven, es ist der „Heilige Dankesgesang“ aus dem späten a-Moll-Quartett, hat man zwei Möglichkeiten. Er bietet sehr viel Fläche und Linie. Entweder man lässt sich komplett auf die Atmosphäre ein und wählt ein sehr langsames Tempo, wo man jeden Harmoniewechsel auskostet. Oder man konzentriert sich mehr auf den Fluss und die Phrasierung. Diese Aufnahme geht klar in diese Richtung. Wir suchen da einen Kompromiss und vermeiden die ganz langsamen Tempi.

FS: Auch, weil der Bogen sonst ausgeht … Im Ernst: Es ist mit einer gewissen Objektivität gespielt. Man könnte sehr viel persönlicher interpretieren. Die Idee dieses Ensembles ist: Die Musik spricht für sich.

PA: Aber die Soli waren doch ein bisschen persönlicher! Ich finde, man kann das gut so machen. Es klang sehr zart.

CV: Ich persönlich finde es zu schnell. Mir wird als Zuhörer wenig Zeit gelassen, die Harmonien wirklich zu spüren. Und dafür sind die Harmoniewechsel nicht immer so gut zusammen. Es ist auf jeden Fall nicht das Alban Berg Quartett. – Hagen! Das wollte ich gerade sagen.

Rubbra: Streichquartett Nr. 3 op. 112 – 1. Largo ma molto flessibile

Maggini Quartet
Naxos 2011

CV: Das ist Schostakowitsch! – Nein? Dann kenne ich es nicht. Ich dachte, es wäre eines der weniger bekannten Quartette. Das Stück hat sehr viel Tiefe!

FS: Es klingt russisch. Edmund Rubbra? Nie gehört, aber den Namen schreibe ich mir auf.

Haydn: Streichquartett g-Moll Hob. III:41 – 2. Largo cantabile

Goldmund Quartett
Naxos 2016

(Alle erkennen die Aufnahme sofort)

FS: Haha, ich weiß es. Was für ein brillanter Geigenklang! (grinsend)

RP: Das ist unser Debüt. Es war sehr aufregend für uns, zum ersten Mal in so einer Aufnahmesituation zu sein. Gerade im Rückblick war das auch außergewöhnlich, denn die Kirche hatte eine tolle Akustik, war aber irgendwie rund. Unser Tonmeister wollte, dass wir uns sternförmig hinsetzen und ich sollte auf einem Podest sitzen.

FS: Das ist echt lange her. Manche Sätze finde ich gelungen, bei anderen merke ich, wie wir uns stilistisch verändert haben – was ja ein gutes Zeichen ist.

CV: Dafür, dass es zehn Jahre her ist, finde ich es klanglich schön.

PA: Ich bin auch positiv überrascht.

RP: Wir würden jetzt sehr viel mehr wagen. Damals haben wir uns auf die Präzision konzentriert, auf perfektes Zusammenspiel, Intonation und so weiter. Der Blick von außen war damals so wichtig. Natürlich haben wir immer noch hohe Ansprüche an das spielerische Niveau, aber uns ist jetzt bewusst, dass es darum nicht geht. Die musikalische Aussage steht über allem.

Brahms: Streichquartett a-Moll op. 51/2 – 4. Finale. Allegro non assai

Alban Berg Quartett
EMI 1993

CV: Das ist der letzte Satz vom 2. Streichquartett von Brahms, es spielt das Alban Berg Quartett!

RP: Warum das so leicht war? Wir haben dieses Stück mit Günter Pichler und Gerhard Schulz, also dem ersten und zweiten Geiger des Quartetts, studiert. Günter ist ein großer Mentor von uns, wir haben fünf Jahre bei ihm studiert. Man erkennt seinen charakteristischen Geigenklang sofort. Das Alban Berg Quartett ist für mich das Ensemble, das für mich in meiner Jugend am präsentesten war. Alle Beethoven- und Brahms-Aufnahmen habe ich rauf und runter gehört. Ähnlich wie eine Lied-Generation von den Schubert-Interpretationen Fischer-Dieskaus geprägt ist, fühle ich mich vom „Alban-Berg-Klang“ geprägt.

Janáček: Streichquartett Nr. 1 „Kreutzersonate“ – 4. Con moto

Schumann Quartett
Berlin Classics 2023

CV: Ich kenne das Stück nicht. Es ist ein sehr schönes Stück und sehr schön gespielt.

PA: Janáček, nicht wahr?

RP: Irgendwie könnte ich mir vorstellen, dass es das Belcea Quartett sein könnte.

CV: Pavel Haas Quartett? Die haben das sicher aufgenommen.

RP: Das Schumann Quartett? Ja, toll gespielt.

CV: Ja, Erik Schumann ist wirklich ein toller erster Geiger. Er hat eine flexible Spielart. Gleichzeitig erzeugt er die notwendige Spannung, die in der Melodik steckt. Sehr schön!

Schostakowitsch: Streichquartett Nr. 8 c-Moll op. 110 – 3. Allegretto

Borodin Quartett
Decca 2018

RP: Schostakowitsch acht, dritter Satz!

CV: Das könnte das Borodin Quartett sein. Das Album mit dem schwarzen Cover. Das Borodin Quartett hatte zu der Zeit dieser Aufnahme immer diesen voluminösen Mittelklang, daran erkenne ich es.

PA: Das Quartett hat ja noch mit Schostakowitsch gearbeitet und sie interpretieren seine Werke immer sehr klangschön und intensiv. Das finde ich interessant und inspirierend. Das heißt, man darf Schostakowitsch auch schön spielen und nicht nur hart und trocken.

RP: Auch die Tempi sind nicht so extrem.

Schumann: Streichquartett A-Dur op. 41/3 – 3. Adagio molto

Quatuor Modigliani
Mirare 2017

Alle: Sehr schön gespielt. Die machen das sehr gut.

FS: Wir haben heute erst wieder in der Probe über diesen Anfang gesprochen. Es ist schwierig, das richtige Tempo zu finden. Wir werden es heute Abend zügiger versuchen, drängender. Da sind ganz viele Synkopen, spannende Harmonien, fast auf jeder Zählzeit passiert etwas. Der einfachere Weg ist es, ganz langsam zu spielen, mit viel Portamento, um das alles zu zeigen. Die Aufnahme ist dahingehend sehr überzeugend. Aber ich glaube, man muss sich mit dem Tempo, das Schumann vorschreibt, mehr auseinandersetzen. So wie Schumann selbst als Mensch überhaupt nicht einfach war, ist es zu einfach, alles im langsamen Tempo zu genießen. Überzeugend, aber vielleicht zu einfach.

CV: Modigliani? Ich dachte für eine Sekunde, es könnte meine Frau sein aus dem Barbican Quartett. Die haben das Quartett letztes Jahr herausgebracht, und die Geigen klingen verdammt ähnlich.

Gubaidulina: Streichquartett Nr. 1

The Danish String Quartet
CPO 1994

RP: Das ist ein cooler Effekt am Anfang. Das Stück kenne ich nicht. Wir haben allerdings ein großes Herz für Neue Musik. Uns ist wichtig zu zeigen, wie unterschiedlich Streichquartette klingen können. Es ist toll, wie man mit so einfachen Mitteln, Glissandi, den Verschiebungen, Reibungen von Vierteltönen, eine ganz eigene Klangwelt erschaffen kann. Wer ist es?

PA: Ah, Gubaidulina. Das Danish String Quartett, die machen das sehr gut. Wir sollten das auch mal spielen!

Album-Tipp:

Album Cover für Mendelssohn: Streichquartette Nr. 2 & 6, Drei Lieder ohne Worte

Mendelssohn: Streichquartette Nr. 2 & 6, Drei Lieder ohne Worte

Goldmund Quartett Berlin Classics

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