Dr. Pop, bürgerlich Markus Henrik, ist Musikwissenschaftler, Comedian und Radiokolumnist, der Popmusik mit viel Witz und analytischem Blick erklärt. Bekannt geworden ist er durch seine Kolumne „Dr. Pops Tonstudio“ und sein Bühnenprogramm „Hitverdächtig“. Mit humorvoller Expertise zeigt er, wie Musik funktioniert und warum sie so bewegt.
Die Analyse von Musik ist in der Klassikwelt sehr verbreitet – was veranlasst Sie, mit der Popmusik genauso zu verfahren?
Dr. Pop: Ich empfinde persönlich Genuss daran, hinter die Kulissen zu schauen und zu verstehen, wie ein Werk zustande gekommen ist. Dadurch gewinnt es für mich an Wert. In der populären Musik wird das immer noch sehr stiefmütterlich behandelt – gerade in Deutschland. Ich trete dafür ein, den ästhetischen Wert der populären Musik – als Oberbegriff für viele Genres – herauszuarbeiten. Sie ist sehr kunstvoll, und man kann dafür dieselben Kriterien wie bei klassischen Analysen anlegen: etwa Sound und Struktur. Auch in der Neuen Musik sind es längst nicht mehr nur die Harmonien, die den Wert bestimmen. Das habe ich bemerkt, als ich das John-Cage-Orgelkonzert in Halberstadt besucht habe. Ich dachte immer, es sei ein Werk über Zeit – tatsächlich geht es viel mehr um den Sound.
Sie sprechen auf Deutschland an – wo ist es besser?
Dr. Pop: In England: Dort kann man viel selbstverständlicher Popmusik studieren. Hierzulande haben Bach und Beethoven noch den größeren Stellenwert. Es gibt interessante Artikel aus den 1960er Jahren, wo die FAZ zu den Beatles schrieb: „Die Maikäfer-Mistplage breitet sich aus.“ Nicht sehr charmant. Heute weiß jeder, dass die Beatles Großes hervorgebracht haben.
Was hat die Klassikszene, was die Popmusik nicht hat – und umgekehrt?
Dr. Pop: Ich versuche in meinem Live-Programm hitverdächtig zu zeigen: Die Welten sind gar nicht so unterschiedlich. Den Diskurs, ob Subventionen anders verteilt werden müssten oder Klassik weniger gelehrt werden sollte, möchte ich nicht führen. Mir geht es um Schnittstellen. Peter Fox’ Alles neu basiert auf einem Sample von Dmitri Schostakowitsch aus den 1940er Jahren. Viele Menschen hören das in meiner Show zum ersten Mal und interessieren sich dann für die ganze Sinfonie. Popmusik führt so zur Klassik – und Klassik bleibt lebendig, wenn sie zitiert wird. Natürlich gibt es Unterschiede im Zugang: Eine künstlerische Ausbildung am klassischen Instrument bedeutet oft lebenslange Detailarbeit, während Musikproduktion im Popmusik-Bereich an einer Akademie breiter aufgestellt ist. Aber beides kann gleichermaßen tiefgehend sein.
An einer Stelle ihres Programms zeigen sie das Sample der besagten Sinfonie in einem Hit von Dieter Bohlen und kommentieren: „Das hätte Schostakowitsch nicht gewollt!” Für welche klassischen Komponisten würden Sie noch eine Lanze brechen?
Dr. Pop: Für Viele. Bei Franz Liszt fasziniert mich, dass er diese „Lisztomania“ ausgelöst hat, wie Heinrich Heine es nannte, über 100 Jahre vor der „Beatlemania“. Von Friedrich Händel stammt das Bonmot, er nehme Melodien unbekannter Autoren, denn: „Es wäre ja schade um die schönen Melodien.“ Das gefällt mir sehr – es ist humorvoll und entlarvend. Mir ist auch wichtig, dass endlich mehr Komponistinnen in den Blick gerückt werden. Viele wurden vergessen oder verdrängt – wie Alma Mahler, die nach der Hochzeit aufhören musste, zu komponieren.
Stichwort Händel: in Ihren Programm sprechen Sie oft das Thema Sampling an. Wie sind die Grenzen zum Ideenklau?
Dr. Pop: Urheberrecht ist kulturgeschichtlich sehr jung. Die Idee, dass Musik vergütet werden muss, entstand erst im 19. Jahrhundert mit Verwertungsgesellschaften wie der GEMA oder SACEM in Frankreich. Heute ist Sampling komplex, weil es zwei Rechte verletzt: die Komposition und die Aufnahme. Trotzdem hat gerade Sampling in den 1980er Jahren mit Hip-Hop eine völlig neue Kulturform geschaffen. Regelverstöße können also problematisch sein und gleichzeitig großartige Kunst hervorbringen. Früher sah man das noch wieder anders. Johann Sebastian Bach etwa besuchte Dietrich Buxtehude in Lübeck, war sein Fan und zitierte ihn in eigenen Werken – als Ehrerweisung. In der Klassik bedeutet ein Zitat oft Anerkennung, nicht Missbrauch. Erst später kippte die Haltung und es wird häufiger von „Schaden“ gesprochen, wenn jemand fremde Takte nutzt.
Parallel zum Analytischen lieben sie Anekdoten. Warum?
Dr. Pop: Sie zeigen, dass Komponisten Menschen waren wie wir. Beethoven zog in Wien 69-mal um, weil er nachts laut komponierte. Händels Wassermusik von 1717 nenne ich den ersten „Sommerhit“ der Musikgeschichte: König George ließ sie auf der Themse aufführen – von links und rechts gespielt, vielleicht die Erfindung von Stereo. Fun Facts helfen, Hemmschwellen abzubauen. Wenn Leute merken, dass Klassik nicht nur „ernst“ ist, hören sie vielleicht genauer hin. Und ich mag es, wenn man über Klassik dieselben Emotionen spüren kann wie über Pop. Musik ist eine Zeitmaschine: Sie konserviert Gefühle über Generationen und Grenzen hinweg.





