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Interview Avi Avital

„Wir arbeiten daran!“

Steht der Mandoline eine Blütezeit bevor? Wenn ja, dann auch deshalb, weil Avi Avital einen großen Beitrag zur Bekanntheit des Instruments des Jahres 2023 geleistet hat.

vonMaximilian Theiss,

Das Jahr der Mandoline, ausgerufen von den Landesmusikräten der Bundesrepublik, lenkt den Fokus auf ein Instrument, das keinen leichten Stand hat. Spricht man über die Mandoline, fühlt sich manch Gegenüber dazu veranlasst, mit einem Grinsen auf den Lippen eine Luftmandoline zu spielen, weil es angeblich so putzig aussieht. Ein besseres Instrument hätte man also gar nicht in den Fokus rücken können, denn die Mandoline bietet so viele musikalische Möglichkeiten, dass eigentlich jeder Mensch sie mögen muss. Warum das so ist, kann Avi Avital am besten erklären: Er bedient nämlich auf unnachahmliche Art das gesamte musikalische Tableau des „Instruments des Jahres 2023“ und hat zudem einen weiten Bekanntheitsgrad in der Klassik-, Jazz- und Weltmusikszene.

Mozart, Beethoven, Mahler und Schönberg komponierten für die Mandoline, in aller Welt finden sich in folkloristischer Musik Verwandte dieses Instruments wieder, und Bill Monroe entwickelte mit ihr aus der Country-Musik den Bluegrass. Die Mandoline assoziiert man aus guten Gründen mit vielen verschieden Genres. Welcher musikalische Weg war der ihre, als Sie begonnen haben, im Mandolinenorchester in Ihrer Heimatstadt Be’er Scheva zu spielen?

Avi Avital: Oh, das waren die unterschiedlichsten Musikstücke! Vorhin habe ich zwei Schallplatten vom Mandolinenorchester aus dem Regal gezogen – können Sie die Cover durch die Kamera sehen? Die Platten stammen aus den achtziger Jahren. Unser Leiter war ja Geiger und kein genuiner Mandolinist – gut möglich, dass für ihn genau deshalb das pure Erlebnis, die reine Freude an der Musik so wichtig war und er nicht darauf fixiert war, uns unbedingt die technischen Raffinessen des Instruments beizubringen.

Was für Tracks finden sich denn auf der Platte?

Avital: Bach, Haydn, Vivaldi, dann ein bisschen Ragtime, ein Medley mit israelischen und eines mit russischen Liedern, eine italie­nische Tarantella … Querbeet! Die Stücke kommen mir alle vertraut vor, obwohl ich an den Aufnahmen nicht beteiligt war, da war ich noch zu jung.

Kann man von musikalischer Prägung sprechen, wenn Sie an das Orchester zurückdenken?

Avital: Absolut! Damals wurde meine grundlegende Haltung zu Musik geprägt, und zwar insofern, als für mich nicht das Genre wichtig ist, sondern erst einmal die Frage, ob ich das Stück mag oder nicht. Und das Schöne ist: Wenn ich Stücke, die mir nicht allzu sehr zusagen, auf der Mandoline spiele, kann ich am Ende doch noch Gefallen an ihnen finden.

Nach Ihrer Jugendzeit im Mandolinenorchester und Ihrem Studium an der Jerusalem School of Music gingen Sie noch an eine italienische Musikhochschule – mit vollem Fokus auf klassischer Musik …

Avital: … nicht nur das: Es war rein klassische Mandolinenmusik! In Be’er-Scheva hat mir früher ein Geiger beigebracht, auf einer Mandoline Musik zu machen. Ich habe Mandoline gespielt, war aber kein Mandolinenspieler, darin liegt ein feiner, aber wesentlicher Unterschied! Ich hatte also zur Kindheit und Jugend, auch noch im Studium in Jerusalem ein Instrument im eigentlichen Wortsinn: ein Werkzeug, um Musik zu machen. Mir geht es heute auf Konzerten übrigens noch immer so. Ich stehe nicht auf der Bühne und denke mir: So, jetzt spiele ich Mandoline. Oder noch extremer: Heute Abend bin ich Botschafter der Mandoline. Bei guten Konzerten vergesse ich sogar, dass ich überhaupt ein Instrument spiele! Aber zurück zum Studium: An der Musikhochschule in Jerusalem habe ich meinen Abschluss mit Geigenrepertoire gemacht, was insofern naheliegt, als Mandoline und Violine eine identische Grundstimmung haben. Mir war klar, dass ein entscheidendes Puzzleteil für mein späteres Berufsleben fehlte: Die Mandoline selbst. Ihre Geschichte. Ihre Evolution. Ihr Repertoire. Ihre so verschiedenartige Kultur in all den Ländern. So kam ich nach Padua zur absoluten Mandolinen-Koryphäe, zu Ugo Orlandi. Dort fand ich das finale ­Puzzleteil …

Bedient das gesamte musikalische Tableau des „Instruments des Jahres 2023“: Avi Avital
Bedient das gesamte musikalische Tableau des „Instruments des Jahres 2023“: Avi Avital

… und Ihre Karriere nahm ihren Lauf. Einige Zeit später, 2012, veröffentlichten Sie Ihr Debüt-Album. Es gibt gar nicht wenige Zeitungs- und Zeitschriftenartikel aus jener Zeit über die Mandoline. Interessanterweise haben sie alle exakt denselben Tenor: Ein völlig unterschätztes Instrument steht kurz vor seinem Comeback. Was lief denn all die Jahre zuvor falsch?

Avital: Da stellen Sie eine sehr interessante Frage, darf ich Ihnen eine Kritik vorlesen, die ich gestern gelesen habe?

Bitte!

Avital: „Ein Virtuose auf der Mandoline. Auf der Mandoline?! Das Pling-Pling-Instrument findet kaum Beachtung in Deutschland, was oft auch an den mittelmäßigen Interpreten liegt. Doch an diesem Abend zeigte der Mandolinist auf distinguierte und geschmackvolle Art, was in diesem Instrument steckt.“ Der Name des Künstlers, von dem die Rede ist, lautet Bartolomeo Bortolazzi, und der Zeitungsartikel stammt, das ist der Witz, aus dem Jahr 1801! Schon vor über zweihundert Jahren waren Menschen erstaunt, dass man auf diesem Instrument Musik machen kann. Eigentlich glaube ich gar nicht, dass irgendetwas falsch gelaufen ist. Vielleicht ist genau das Gegenteil der Fall: dass vieles einfach zu gut für die Mandoline gelaufen ist. Sie ist intuitiv, ursprünglich. In jeder Kultur, letztendlich in so gut wie jedem Haushalt findest du ein Zupfinstrument, sei es eine Gitarre, eine Ukulele oder auch ein Kinderspielzeug. Als Amateurinstrument, als „Afterwork-Instrument“ in unterschiedlichsten Formen und Variationen wurde es auch in diverse folkloristische Musiken integriert. Aber die Mandoline hat nie wirklich die Grenze zum Konzertbereich überschritten – in den Augen vieler Menschen, wohlgemerkt. Ich selbst hatte nie das Gefühl ein in seinen musikalischen Möglichkeiten limitiertes oder simples Instrument in der Hand zu halten.

Meinen Sie, diese grundsätzliche Haltung, wie sie auch der eben zitierte Kritiker offensichtlich hatte, wird sich jemals ändern?

Avital: Ich habe schon das Gefühl, dass sich die Musikwelt in den letzten Jahren diesem Instrument gegenüber geöffnet hat. Sowas passiert natürlich nicht über Nacht, das ist eine stete Entwicklung. Mehr und mehr Musik- und Konzertinstitutionen interessieren sich dafür, auch natürlich die Klassiklabels wie in meinem Fall die Deutsche Grammophon. Und den Zuhörern gefällt’s, denn sie kommen in die Konzerte und hören die Aufnahmen. Man darf natürlich nicht vergessen, dass die klassische Musik eine lange Tradition hat, was wiederum bedeutet, dass Neues etwas länger braucht, bis es seine feste Akzeptanz bekommt.

Es ist schon recht lange her, dass es in Schulen und sogar Fabriken eigene Mandolinenorchester gab, aber es gab sie damals sehr zahlreich. Warum sind die weitgehend verschwunden?

Avital: Nun, wir arbeiten daran (lacht). Ich glaube, so etwas läuft in Wellenbewegungen ab. Anfang des 20. Jahrhunderts gab diese große Mode der Orchestervereinigungen, und zwei Generationen später war es halt das Instrument, dass die Omas früher mal gespielt haben. Nicht gerade cool. Das sind die zwei Ebenen, auf denen ich mich für das Instrument einsetzen möchte, gerade im Jahr der Mandoline. Ich will den Menschen klarmachen, dass es einerseits das perfekte Afterwork- und Schulinstrument ist: Es macht Spaß, allein und in der Gruppe, es klingt schon gleich nach den ersten Lernschritten nach Musik, und man kann so viele Genres damit bespielen. Und dann will ich die Menschen dafür sensibilisieren, dass die Mandoline genauso in den Konzertsaal gehört wie beispielsweise die Violine oder die Flöte oder das Cello, dass die Mandoline auch ein hochklassiges Musikerlebnis ermöglichen kann.

Album-Tipp:

Album Cover für Art of the Mandolin – Werke von Vivaldi, Beethoven u. a.

Art of the Mandolin – Werke von Vivaldi, Beethoven u. a.

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