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Interview Alison Balsom

„Um Klassik zu hören, braucht man kein Diplom“

Zuviel Perfektion tötet die Musik, sagt Trompeterin Alison Balsom – vielleicht liegt auch genau darin der Grund, weshalb ihr Spiel so unfassbar lebendig klingt

vonDagmar Leischow,

Auch wenn ihre stets glamourösen Fotos einen ganz anderen Eindruck vermitteln: Die britische Trompeterin Alison Balsom ist eigentlich ein unprätentiöser Typ. Zum Interview in einem Hamburger Hotel erscheint sie ungeschminkt mit nachlässig zusammengebundenen Haaren, zur Jeans trägt sie einen Pullover. Für sie stehen keine Äußerlichkeiten im Vordergrund, sondern ihre Musik. Stets ist sie auf der Suche nach ihrem individuellen Klang – und hat dabei Erfolg, bedenkt man ihre Auszeichnungen mit einem Classic Brit Award oder dem ECHO Klassik. Ihr umfangreiches Repertoire erstreckt sich von Albinoni über Haydn und Satie bis zur Moderne. Balsom arrangiert auch regelmäßig selbst Stücke um, die eigentlich gar nicht für die Trompete geschrieben wurden. Oder bringt neue Werke zur Uraufführung. Die moderne Trompete beherrscht sie genauso wie die Naturtrompete.

 

Frau Balsom, haben Sie eine Erklärung dafür, warum so viele Menschen die Trompete automatisch mit Weihnachtsmusik assoziieren?

Alison Balsom: Na ja, wir haben doch alle diese Bilder von Engeln im Kopf, die Trompete spielen. In meiner Heimat England kommt noch etwas anderes hinzu: Wir Briten lieben Brassbands, vor allem in der Advents- und Weihnachtszeit.

Hat Sie das auf die Idee gebracht, Ihre Hörer mit Ihrer neuen CD „Jubilo“ in Weihnachtsstimmung zu bringen?

Balsom: Eins vorweg: Ich habe kein traditionelles Weihnachtsalbum aufgenommen. Bachs Choräle haben mich schon ewig fasziniert – deswegen wollte ich sie unbedingt einspielen. Aber das allein genügte mir nicht. Also habe ich Barockmusik von Fasch, Torelli und Corelli zu Bachs Werken gestellt.

Für die drei Stücke dieser Komponisten haben Sie zur Naturtrompete gegriffen.

Balsom: Genau. Die Naturtrompete kommt der menschlichen Stimme näher als die moderne Trompete. Wenn man sie laut spielt, entstehen zwar recht heroische Töne. In den leisen Passagen klingt sie dagegen fast wie Gesang.

Andererseits zeigt sich die Naturtrompete weniger vielseitig als die moderne Trompete.

Balsom: Sie ist natürlich kein chromatisches Instrument und besitzt keine Ventile. Für die Bach-Choräle hätte ich sie niemals in Betracht gezogen. Darum bin ich das Wagnis eingegangen, bei meiner Aufnahme zwischen moderner Trompete und Naturtrompete hin und her zu wechseln.

Wie zufrieden sind Sie jetzt mit dem Ergebnis?

Balsom: Wenn ich meine CD nun mit Ihnen hören würde, könnte ich Ihnen etliche Details nennen, die besser sein könnten. Ich halte nichts davon, ein Stück unzählige Male zu bearbeiten, bevor die Endfassung steht. Meiner Ansicht nach würde die Musik bei so einem Prozess irgendwann sterben. Das fände ich fatal. In der Konsequenz strebe ich nicht nach absoluter Perfektion, sondern versuche, bei meinen Einspielungen lieber ein bisschen was von der Live-Atmosphäre eines Konzerts einzufangen.

Dabei treten Sie heute nicht mehr so oft wie früher auf.

Balsom: Als Mutter setze ich meine Prioritäten anders. Es muss einen wirklich guten Grund dafür geben, dass ich nicht zuhause bei meinem Sohn bin. Schließlich möchte ich nicht seine komplette Kindheit verpassen. Ich wähle meine Projekte inzwischen sehr bewusst aus. Nur wenn ich hundertprozentig hinter etwas stehe, gehe ich auf Tournee oder ins Studio.

Was Ihr Repertoire angeht, scheinen Sie für Kompositionen aus vergangenen Jahrhunderten ebenso offen zu sein wie für moderne Musik.

Balsom: Auf jeden Fall. Ich denke, die Trompete hat einen wichtigen Platz in der modernen Musik. Das motiviert mich, immer wieder neue Werke in Auftrag zu geben. 2017 werde ich zum Beispiel ein Stück in der Londoner Royal Albert Hall zur Uraufführung bringen, das die Trompete mit elektronischer Musik vereinigt.

Reizt es Sie, künftig stärker in Richtung Pop oder Jazz zu gehen?

Balsom: Ich bin offen für die unterschiedlichsten Einflüsse. Allerdings mag ich keine halben Sachen. Es käme mir nicht in den Sinn, mich mit einem Popmusiker oder einem Jazzer messen zu wollen. Diese Leute sind auf ihrem Gebiet schlichtweg kompetenter als ich. Grundsätzlich spricht aber nichts dagegen, mit ihnen zu kollaborieren. Manchmal genügt sogar schon ein Gespräch mit einem Musiker aus einem anderen Genre, um als Künstler neue Inspirationen zu finden.

Ist nicht die Auseinandersetzung mit dem eigenen Instrument das Allerwichtigste?

Balsom: Selbstverständlich kommt ein Musiker ohne ernsthafte Hingabe an sein Instrument nicht vorwärts. Das tägliche Üben genügt indes nicht. Von meinen Lehrern Hakan Hardenberg, John Miller und John Wallace habe ich gelernt, über den Tellerrand zu gucken. Es empfiehlt sich, Konzerte zu besuchen – nicht nur von Trompetern, auch von anderen Instrumentalisten. Das erweitert nämlich den eigenen musikalischen Horizont.

Geben Sie diese Philosophie an Ihre Schüler an Londoner Guildhall School of Music and Drama weiter?

Balsom: Ich unterrichte dort nicht sehr oft, manchmal übernehme ich Meisterklassen. Wobei ich durchaus streng bin. Es gibt eigentlich kaum jemanden, bei dem man nicht etwas korrigieren könnte.

Sie selbst eingeschlossen?

Balsom: Sicher. Mein letzter Lehrer Håkan Hardenberg hat mir beigebracht, wie ich mein eigenes Korrektiv werden kann. Ich lege hohe Maßstäbe an mich an. Statt Kollegen zu kopieren, bin ich stets auf der Suche nach meinem eigenen Sound. Wenn ich den gefunden habe, gehe ich keine Kompromiss mehr ein – unabhängig davon, was andere sagen.

Als Instrumentalistin sind Sie in erster Linie Interpretin. Was bedeutet das für Sie?

Balsom: Ich bin den Intentionen des Komponisten verpflichtet. Und muss versuchen, den Geist eines Stücks zum Leben zu erwecken. Für mich ist klassische Musik keine Kunstform aus der Vergangenheit, ich betrachte sie als etwas sehr Gegenwärtiges. Es spielt für mich keine Rolle, ob ein Konzert bereits vor 300 Jahren geschrieben wurde. Vor allem kommt es darauf an, welche Gefühle die Musik im Augenblick erzeugt.

Entsteht nie ein Konflikt zwischen Ihren Emotionen und dem Bestreben eines Komponisten?

Balsom: Lassen Sie es mich so formulieren: Eine Komposition ist ja nicht wie ein Theaterstück, bei dem jedes Wort fest vorgeschrieben ist. Ich würde sie eher mit einem abstrakten Gemälde oder sogar mit einer leeren Leinwand vergleichen. Das bedeutet, ich kann mir mein eigenes Bild zu den Klängen kreieren. Indem ich meine ganz persönlichen Empfindungen ausleuchte.

Heißt das, Gefühle haben bei Ihnen absolute Priorität?

Balsom: Ohne eine entsprechende Technik könnte ich sie gar nicht in meine Musik legen. Eine gute Ausbildung ist also unabdingbar. Das gilt jedoch nur für einen Instrumentalisten, nicht fürs Publikum. Um Klassik zu hören, brauchen Sie kein Musikdiplom. Es genügt, wenn Sie die Musik berührt. Das funktioniert bei einem Erwachsenen genauso wie bei einem Kind.

Sehen Sie das an Ihrem Sohn?

Balsom: Er wurde schon vor seiner Geburt mit Klassik konfrontiert. Während meiner Schwangerschaft habe ich James MacMillans ziemlich verrücktes Trompetenkonzert „Seraph“ einstudiert. Ich weiß nicht, inwiefern das die Persönlichkeit meines Kindes beeinflusst hat. (lacht)

Gegenwärtig setzen Sie sich mit einer Neukomposition des französisch-chinesischen Komponisten Qigang Chen auseinander.

Balsom: Ich werde es 2017 mit den New Yorker Philharmonikern interpretieren. Das ist eine spannende Aufgabe, weil chinesische Tradition auf europäische Musik trifft.

Wie sehr hat Sie eigentlich Ihre britische Herkunft als Künstlerin geprägt?

Balsom: Ich halte mich nicht für eine typisch britische Trompeterin. Für uns klassische Musiker gilt eh: Wir sprechen alle eine gemeinsame Sprache, die überhaupt nichts mit Ländergrenzen zu tun hat.

Stichwort Ländergrenzen: Ich wette, Sie haben gegen den Brexit gestimmt.

Balsom: Ja. Ich weigere mich normalerweise, öffentlich über Politik zu sprechen. Aber Großbritanniens bevorstehenden Ausstieg aus der Europäischen Gemeinschaft möchte ich nicht völlig unkommentiert lassen. Als Musikerin sehe ich meine Aufgabe darin, Menschen zusammenzubringen – und nicht voneinander zu trennen. Dementsprechend bin ich derzeit als britische Botschafterin in ganz Europa unterwegs. Mit der Nachricht: „Wir Briten wünschen uns eine harmonische Beziehung zu anderen Nationen. Weil wir wissen, dass wir gemeinsam stärker sind.“

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