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Festival Paax GNP in Mexiko

Alchemistin der Talente

Alondra de la Parras Festival Paax GNP feierte 2022 seine fulminante Premiere. Damit hat die Dirigentin womöglich einen kulturellen Leuchtturm in der Karibik geschaffen. 

vonJan-Hendrik Maier,

Sanft schlägt das türkise Meer gegen die flachen Felsen. Palmen spenden vereinzelt Schatten unter der fast senkrecht stehenden Sonne. Nur die Brandung des ­Atlantiks ist am weißen Sandstrand zu hören. Schwimmen ist hier an diesem Morgen nicht erlaubt, dafür wartet das angrenzende Luxusresort Xcaret del Arte mit seinen zur See ausgerichteten Infinity-Pools auf. Dessen bilderbuchhafte Karibikwelt an der international leicht zu erreichenden ­Riviera Maya in Mexikos Südosten ist Schauplatz für das von Dirigentin Alondra de la Parra gegründete Festival Paax GNP. Zehn Tage lang präsentieren Künstler aus mehr als zwanzig Ländern ein ungewohnt vielfältiges Programm aus Sinfonik, Kammermusik, Jazz, Tanz und bildender Kunst und tragen so dazu bei, das Land auf die vordergründig europäisch geprägte Klassik-Weltkarte zu rücken. Denn obgleich sich ihre Landsleute nach Aufführungen auf höchstem Niveau sehnten, im internationalen Vergleich könne Mexiko nur bedingt mithalten, sagt de la Parra.

Festival Paax GNP feiert die Musik als höchstes Gut

2022 feierte „Paax“ ein Jahr später als geplant seine Premiere. Vier Prinzipien lägen dem Festival, dessen Name sich vom mayanischen Wort für Musik ableitet, zugrunde, erklärt de la Parra: Mexiko als ein „willkommen heißender Ort der Geborgenheit“, die Musik als höchstes Gut, das Streben nach Exzellenz und das „Muttersein“ als Ausdruck von Fürsorge und ehrlichem Interesse an den individuellen Belangen aller am Festival Beteiligten. „Dieser menschliche Aspekt ist in meiner Zusammenarbeit mit Orchestern in aller Welt so oft viel zu kurz gekommen. Paax soll das Gegenteil sein.“

Auch ohne Musik ist das Luxusressort Xcaret del Arte ein Hochgenuss an Mexikos Riviera Maya
Auch ohne Musik ist das Luxusressort Xcaret del Arte ein Hochgenuss an Mexikos Riviera Maya

Ein „musikalisches Paradies, das Herz und Seele erfüllt“

Hört man sich unter den Künstlern um, ist das Konzept in diesem Jahr offensichtlich aufgegangen. „Alondra hat einen Ort voller Synergien, Talente, musikalischer Großzügigkeit, Empathie und gegenseitiger Bewunderung geschaffen, an dem magisches entsteht“, sagt Pianist Thomas Enhco. Obwohl hier viele Musiker ersten Ranges zusammenkämen, spielten persönliche Befindlichkeiten keine Rolle, berichtet Cellist Rolando Fernández. Seine Kollegin ­Sophie Kauer pflichtet bei: „Ich zähle zu den Jüngsten im Orchester und finde es toll, mit wie viel Respekt mir die anderen begegnen.“ Von einem „musikalischen Paradies, das Herz und Seele erfüllt“ schwärmt Sängerin Olivia Chindamo. Aus Beobachterperspektive spiegelt sich jene harmonische, anregende Atmosphäre in den durchweg gelungenen Aufführungen wider, in denen hochmotivierte Musiker ihre Spielfreude auf die Zuhörer übertragen.

In luftigen Höhen: Christopher Wheeldons Ballettgala mit dem Orquestra Imposible
In luftigen Höhen: Christopher Wheeldons Ballettgala mit dem Orquestra Imposible

„Ich sehe mich als eine Alchemistin der Talente auf der Suche nach den passenden Zutaten für den besten Zaubertrank“, beschreibt de la Parra ihre Rolle als Festivalchefin. Angefangen bei der Rekrutierung der Orquesta Imposible, deren knapp 120 Mitglieder jedes Jahr handverlesen sind und oft aus weltweiten Spitzenklangkörpern stammen. Mit den „Paax Fellows“ sind darunter 2023 erstmals zwanzig Studierende internationaler Musikhochschulen, die Geiger Aleksey Igudesman vor Ort betreut. „Wir spielen in kürzester Zeit sehr viel Repertoire, das man so weder in Salzburg noch in Luzern erlebt. Einfach ist das nicht“, resümiert Violinist Guy Braunstein treffend den programmatischen Anspruch des jungen Festivals. So erklingen im 850 Plätze umfassenden Ballsaal zeitgenössische Werke aus Latein­amerika von und mit Omar Massa, Yamandu Costa und Paquito D’Rivera selbstverständlich neben solchen von Beethoven, Brahms und Dvořák, von Toussaint, Ginastera und Piazzolla. Zu den Pub­likumsmagneten zählt die Ballettgala unter der Ägide von Festival-Co-Chef Christopher Wheeldon, der Tänzerinnen und Tänzer des New York City Ballet und des Joffrey Ballet Chicago nach Mexiko holte.

Nach Sonnenuntergang verlagert sich das Geschehen allabendlich zur Open Air-Bühne unter Palmen. Die Stimmung ist dezidiert ausgelassen, kluge Beleuchtung verstärkt die gute Laune. Am letzten Abend gibt es sogar eine von Musikern wie Besuchern gleichermaßen rege genutzte Tanzfläche. „Darkside“ nennen die Veranstalter das Format, das den Interpreten eine Carte blanche für ihr Können jenseits der Klassik gibt. Insbesondere die lateinamerikanischen Künstler zeigen, wie natürlich ihnen Jazz und Improvisation von der Hand gehen. „Als Geigerin aus einem großen europäischen Orchester bin ich pures Improvisieren nicht gewohnt, was schade ist, aber ich versuche mich gern in dieser so anderen Stilistik. Der Hummelflug in Fünfachteln ist schon eine Herausforderung“, erzählt Julia Becker.

Kunterbuntes Lateinamerika mit Kubas Jazzlegende Paquito d'Rivera (2.v.l.) und Thomas Enhco am Klavier
Kunterbuntes Lateinamerika mit Kubas Jazzlegende Paquito d’Rivera (2.v.l.) und Thomas Enhco am Klavier

Ein sicherer Hafen für Jugendliche aus schwierigen sozialen Verhältnissen

Mit einem Dutzend Kollegen spielte sie freiwillig auch im Abschlusskonzert des „Armonía Social“-Orchesters. Das Projekt soll einen gesellschaftlich nachhaltigen Beitrag zur Nachwuchsförderung auf der Halbinsel Yucatán leisten. Ein Jahr lang treffen sich wöchentlich derzeit 77 Jugendliche zwischen 6 und 21 Jahren in Playa del Carmen und Merida zu kostenlosen Workshops und Orchesterproben. Solisten der Orquesta Imposible geben während des Festivals Meisterkurse. „Viele Jugendliche kommen aus schwierigen sozialen Verhältnissen. Wir bieten ihnen einen sicheren Hafen, in dem sie durch die Musik den Glauben an sich selbst, Werte wie Teamarbeit, Beharrlichkeit und Disziplin lernen“, erklärt Projektleiter Samuel ­Rafinesque. Als pädagogisches Vorbild dient „El Sistema“. Die Finanzierung erfolgt im Unterschied zum venezolanischen Projekt aus privater Hand. So wolle man auch in Zukunft unabhängig und an regionale Bedürfnisse angepasst handeln können. Das Ziel am Horizont: „Armonía Social“ in allen 32 Landesteilen.

6 500 Gäste aus Mexiko, den USA, Australien, Spanien, Großbritannien und Deutschland zählte das ausgebuchte Festival dieses Jahr, für 2024 sind sechzig Prozent der Tickets verkauft. Geht es nach Alondra de la Parra, soll in einer der nächsten Ausgaben ein kostenloses Open-Air-Konzert außerhalb des Resorts stattfinden, „um Paax auch jenen Menschen in der Region zu ermöglichen, die sich keine Eintrittskarte leisten können“. Für internationale Besucher wäre es eine ideale und wünschenswerte Gelegenheit, noch tiefer in die Kultur Mexikos einzutauchen.

concerti-Tipp:

Festival Paax GNP
27.6.–7.7.2024
Alondra de la Parra, Orquestra Imposible u. a.
Hotel Xcaret del Arte, Quintana Roo, Mexiko

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