Wann kam Ihnen zum ersten Mal die Idee für den Classic Violin Olympus?
Pavel Vernikov: Zum ersten Mal kam mir der Gedanke vor etwa drei Jahren, nachdem ich schon in vielen Jurys von Wettbewerben saß – große, aber auch kleinere Formate. Und ich stellte fest: Es gibt immer wieder dieselben Teilnehmer. Manche spielen alle zwei Monate bei einem Wettbewerb – und oft dasselbe Programm. Sie haben gar keine Zeit, sich als Musiker wirklich zu entwickeln, sich zu vertiefen. Und ich dachte: Das kann nicht alles sein. Da muss sich etwas ändern.
Was hat sich Ihrer Meinung nach grundsätzlich verändert?
Vernikov: Früher gab es nicht so viele Wettbewerbe wie heute. Man kannte Oistrach, es gab große Persönlichkeiten wie Ginette Neveu. Heute wirkt es oft wie ein sportliches System: Jedes Land hat 30, 40 Wettbewerbe, die Programme sind meist identisch, die Jury besteht häufig aus Professoren mit eigenen Schülern. Natürlich ist nicht jeder Wettbewerb gleich, aber insgesamt hat sich eine gewisse Routine eingeschlichen.
Was wollten Sie mit dem Classic Violin Olympus bewusst anders machen?
Vernikov: Ich wollte etwas schaffen, das nicht revolutionär ist – Revolution ist ein Wort, das ich nicht besonders mag –, sondern etwas entwickeln. Eine Form, die Individualität ermöglicht. Auch für Menschen, die nicht mehr ganz jung sind. Denn mit 48 ist man als Geiger weder alt noch pensioniert – und trotzdem bekommt man oft keine Bühne mehr für seine persönliche Entwicklung. Ich wollte eine Evolution anstoßen, eine Plattform für echte musikalische Persönlichkeiten.
Wie unterscheidet sich dieser Wettbewerb konkret von anderen?
Vernikov: Es ist schwer zu sagen, ohne den Eindruck zu erwecken, dass wir besser sein wollen als andere. Das ist nicht meine Absicht. Aber viele Menschen, auch Kollegen, haben mich ermutigt: „Pavel, mach das weiter.“ Denn es geht nicht darum, andere Wettbewerbe abzuwerten – viele sind wichtig –, aber es gibt häufig Diskussionen darüber, wer gewinnt und warum. Ist es Politik? Sind es die Lehrer? Die Beziehungen? Und am Ende hört man oft dasselbe Programm. Es wirkt standardisiert, mechanisch – wie Fast Food. Paganini, Bach, Mozart, klassische Sonate, Konzert – immer wieder dasselbe. Wir wollten bewusst etwas anderes setzen.
Welche Rolle spielt Alexey Shor in diesem Projekt?
Vernikov: Ich kannte ihn zunächst gar nicht, wusste nur, dass er Musik schreibt. Seine Werke sind nicht experimentell oder schwer zugänglich, sondern sehr direkt, fast naiv – aber im besten Sinn. Sie erinnern in ihrer Emotionalität manchmal an Filmmusik, was heute fast schon als Makel gilt. Dabei spielt doch niemand Musik für Theoretiker – sondern für ein Publikum, das berührt werden möchte. Natürlich gibt es großartige zeitgenössische Komponisten, auch solche mit komplexer Sprache – wenn die Musik aus echter Emotion kommt, kann sie tief wirken. Aber oft begegnet man Werken, die als genial gelten, ohne dass jemand sie wirklich gern hört. Shors Musik hingegen ist melodiös, romantisch, verständlich – und gerade dadurch eine Herausforderung für den Interpreten. Als ich sie zum ersten Mal hörte, dachte ich: Warum nicht? Sie ist interessant, weil sie einfach etwas erzählen will.
Denken Sie, dass sich durch Shors Musik besonders gut die Unterschiede zwischen den Interpreten zeigen?
Vernikov: Absolut. Wenn man ein sehr schwieriges modernes Stück spielt, geht es oft nur um Technik. Aber bei Shor geht es um Emotion. Zwei Personen spielen dasselbe Konzert – bei einem wirkt es langweilig, bei der anderen fantastisch. Weil der eine eine Geschichte erzählt, Dramaturgie entwickelt, einen Bogen spannt. Das ist es, was zählt. Die Musik selbst ist ruhig, sie ist Liebe. Der Künstler muss in der Musik leben. Ein Kollege sagte mal: „Manche von Shors Melodien könnte man singen.“ Und das ist doch nichts Schlechtes. Mozart haben wir auch gesungen. Vielleicht ist es nicht das größte Verbrechen eines Komponisten, Melodien zu schreiben. Wir spielen für das Publikum. Ich glaube, der Komponist sollte auch für das Publikum schreiben.
Warum müssen alle Teilnehmer das Beethoven-Tripelkonzert spielen?
Vernikov: Das war auch Teil der Idee. Vor drei Jahren bin ich um fünf Uhr morgens aufgewacht und dachte: Warum ist das eigentlich nicht möglich? Das ist Kammermusik, aber mit Orchester. Und ich liebe Kammermusik. Das Tripelkonzert von Beethoven ist großartig. Ein guter Kammermusiker kann kein schlechter Geiger sein. Natürlich ist es auch solistisch. Und dann kommen die großen Konzerte: Brahms, Tschaikowsky, Paganini-Capricen – das ist wie ein Triathlon. Es braucht eine andere Art von Persönlichkeit. Viele spielen seit dem dritten Lebensjahr täglich acht Stunden – das ist beeindruckend. Aber technische Perfektion allein reicht nicht. Eine künstlerisch reife Persönlichkeit braucht mehr als nur Kontrolle. Kinder sollten nicht bloß gedrillt, sondern dazu befähigt werden, echte Künstler zu werden – mit Verständnis, Gefühl und Ausdruckskraft.
Geht es Ihnen darum, einen vollständigen Künstler zu finden?
Vernikov: Ja, das ist das Wichtigste. Es spielt keine Rolle, ob jemand 20 oder 48 Jahre alt ist. Ich mag das Wort „Karriere“ nicht. Karriere macht man vielleicht bei Siemens: Erst Vice President, dann President. Aber als Künstler? Wichtiger ist, dass sich jemand entwickeln kann. Vielleicht wird jemand Solist, vielleicht sagt jemand nach dem Wettbewerb: „Ich möchte lieber Konzertmeister werden.“ Erster Geiger in Berlin ist angenehmer als ein Leben als Solist. Das ist alles gut. Wir wollen Persönlichkeiten fördern.
Denken Sie, dass Lebenserfahrung ein Vorteil ist?
Vernikov: Für mich spielt das Alter keine Rolle. Menuhin spielte mit 13 großartig. Milstein spielte mit 80 phänomenal. Es geht nicht um jung oder alt, sondern um Tiefe. Mozart war mit zehn Jahren schon ein Genie. Manche junge Menschen spielen sehr tief. Mein Lehrer in Odessa sagte: „Wenn du spielst, sprich mit Gott.“ Heute haben viele Musiker dafür keine Zeit mehr. Sie sprechen mit Managern, auf YouTube, über Karriere – aber nicht mit Gott. Und das ist schade. Früher hatte man noch Zeit, mit großen Musikern zu arbeiten. Heute: London, morgen Kopenhagen, dann New York. Es geht, aber man verliert sich. Manchmal sind es zwei Konzerte am Tag. Ich kenne Dirigenten, die vier Konzerte geben – das ist nicht mehr ernsthaft. Ein bisschen Seele geht da verloren.
Haben Sie mit einem so hohen Niveau beim Wettbewerb gerechnet?
Vernikov: Ich habe alle sechs Vorrunden gesehen und war in jeder Jury. Ich habe gesehen, dass das Niveau sehr hoch ist – sogar höher, als ich anfangs dachte. Und viele Teilnehmer riskieren nichts – sie können nur gewinnen. Das verändert die Atmosphäre. Es ist keine reine Leistungsschau. Alle zwölf sind wichtig.
Wie sehen Sie die Zukunft der klassischen Musik?
Vernikov: Ich bin vorsichtig optimistisch. Früher gab es wenige große Musiker – aber ein großes Publikum. Heute haben wir viele Musiker – aber weniger Zuhörer. Unser Ziel muss sein, dass die Menschen wieder zuhören. Ich glaube daran.