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INTERVIEW DAVID FRAY

„Erfolg kann man nicht kultivieren“

Warum für den Pianisten David Fray vor allem das Neinsagen zählt

vonFriederike Holm,

Eine diebische Freude hatte David Fray am Pater Noster im Berliner Haus des Rundfunks, wo wir uns zum Interview trafen. Den altmodischen Fahrstuhl fand der französische Pianist, der weltweit in den berühmten Konzerthäusern gastiert, so ulkig, dass er gleich eine extra Runde durch den Keller drehte. Seine Musik und auch das Gespräch darüber nimmt der Klavier-Star hingegen sehr ernst, wobei ihm auch hier Humor und eine gewisse Selbstironie nicht abgehen. Bemerkenswert ist seine fern von Koketterie liegende Bescheidenheit, die er sich trotz seines Erfolgs bewahrt hat.

Herr Fray, wollen wir uns lieber auf Deutsch oder auf Englisch unterhalten?

Englisch wäre mir lieber.

Obwohl eine Menge deutsche Kultur in Ihnen steckt.

Das stimmt, aber nicht genug, um gut Deutsch sprechen zu können. Obwohl meine Mutter Deutschlehrerin ist und mein Vater Philosophie unterrichtet. Mein Elternhaus war tatsächlich sehr von deutscher Kultur geprägt. Es hat auch meinen musikalischen Geschmack beeinflusst und sicherlich – wenn auch unbewusst – die Auswahl meines Repertoires.

Was spielt – abgesehen von der deutschen Prägung – beim Repertoire noch eine Rolle?

Das wird immer schwieriger. Wenn man jünger ist, spielt man alles, was man in die Finger bekommt. Man hat weniger Hemmungen, was gut ist. Stücke auszusuchen ist eine Frage des richtigen Moments. Manchmal passiert es, dass ich eine Partitur öffne und denke, dass ich für das Stück bereit bin, fange an zu spielen und stelle fest, dass ich es nicht bin. Ich empfinde eine Art Signal, wenn es der richtige Zeitpunkt für ein Stück ist. Das ist ein sehr schönes Gefühl. Es ist eine Art Resonanz zwischen Werk und Mensch, die an einem bestimmten Punkt zusammenpassen.

Und neben der Musik: Wie entscheiden Sie, wo Sie spielen?

Ich nehme einfach gut überlegt die Angebote an, die ich bekomme. Wenn ich verfügbar bin, wenn mir das Repertoire zusagt, wenn die Qualität des Instruments stimmt und eine gute Akustik gegeben ist, habe ich keinen Grund abzulehnen. Aber es darf nicht zu viel werden. Denn das was ich als Musiker brauche, ist Zeit zum Nachdenken. Und das heißt: sich über Tage und Wochen am gleichen Ort aufhalten, um über Musik und das Leben im Allgemeinen nachzudenken. Bach kann man nicht spielen, wenn man immer nur unterwegs ist.

Und haben Sie genug Zeit dafür?

Ich habe nie genug Zeit. Um ehrlich zu sein, ich hoffe, dass ich in Zukunft meinen Zeitplan so organisieren kann, dass mir mehr Zeit bleibt und ich vielleicht weniger Konzerte gebe.

Inwiefern spielt der Ruf des Orchesters oder des Konzerthauses eine Rolle für die Auswahl Ihrer Engagements?

Wenn ich eine Anfrage bekomme und das Repertoire ist nicht wirklich meins, lehne ich sie ganz sicher ab, ganz egal von welchem Orchester oder Dirigenten sie kommt. Das ist auch schon vorgekommen. Ganz ehrlich, wenn man Karriere um jeden Preis machen möchte – das ist einfach dumm. Eine Karriere – eigentlich hasse ich dieses Wort – ist nur das Ergebnis von einer Auswahl, die man trifft. Und diese Auswahl hängt von deinen Stärken, deinen Schwächen, deinen Vorlieben ab. Daraus wird eine Karriere, ganz sicher nicht aus Ehrgeiz. Gut spielen kann man nicht durch Ehrgeiz, sondern indem man sich selbst gut kennt.

Sie scheinen sehr zu reflektieren, was sie tun. Planen Sie auch alles detailliert im Voraus?

Nein, ich plane gar nichts. Naja, ein bisschen planen muss ich, weil der Job es erfordert. Du bekommst einen Anruf und jemand fragt dich, ob du in zwei Jahren verfügbar bist, um dies und das Konzert zu spielen. Von daher muss ich in der Lage sein, mich in diese Situation zu versetzen. Aber ich bin nicht sehr gut darin und ich mag das auch nicht. Überhaupt nicht. Vor allem nicht, das Repertoire so früh festzulegen. Was ich jetzt gerade spiele, möchte ich vielleicht in zwei Jahren nicht mehr spielen. Ich wäre gerne freier und spontaner in dem, was ich tue.

Aber an irgendeinem Punkt haben Sie sich mal dafür entschieden: Pianist zu werden.

Es war eine Folge vieler Entscheidungen, eine Folge von Schritten und auch von Fehltritten. Man erreicht ja nicht immer, was man sich vorgenommen hatte und dann denkt man, man ist nicht gut genug und will aufhören. Das ist vorgekommen, als ich jünger war. Eigentlich ist das bis heute auch immer noch so. Es ist ein wirklich harter Job – wenn man es denn als „Job“ bezeichnen kann – weil man nie wirklich rundum zufrieden sein kann mit dem, was man ist und was man tut. Manchmal, ehrlicherweise nicht sehr oft – bin ich zufrieden nach einem Konzert. Das fühlt sich großartig an, aber es hält nur fünf Minuten an. Denn nach fünf Minuten denke ich an das nächste Konzert, das nächste Projekt, das nächste Programm und ich weiß, ich fange wieder bei null an. Wenn man jung ist und sich entscheidet, Pianist zu werden, weiß man nicht, was auf einen zukommt. Man weiß nicht, wie schwer das ist – nicht nur, gute Musik zu machen, sondern auch fertig zu werden mit all dem Reisen, die viele Zeit auf den Flughäfen, die Hotels, in denen man schlecht schläft… Das ist es, was wir als „den Job“ bezeichnen könnten und diesen Aspekt habe ich so nicht erwartet und den mag ich nicht. Ich wollte immer nur für Menschen Musik machen.

Das Leben eines Pianisten ist also nicht ganz so, wie Sie es sich vorgestellt haben?

Ich versuche das entsprechend zu beeinflussen: Als ich anfing, habe ich mir vorgenommen, die Dinge auf meine eigene Art zu machen, auch wenn ich da noch total unbekannt war. Ich bin nicht sehr gut darin mich anzupassen, also habe ich Bedingungen gestellt: Ich wollte so frei wie möglich in der Auswahl des Repertoires sein, bei der Anzahl der Konzerte und so weiter. Und wenn man jung ist und sich so verhält, sagen die Leute: Was denkt er denn, wer er ist?! Aber ich brauchte einfach gewisse Konditionen, um gute Arbeit abliefern zu können.

Dinge auf „ihre eigene Art“ machen: Ist Ihnen das gelungen?

Bisher ist es mir gelungen, Musik in einer tollen Umgebung zu machen, mit netten Leuten und mit dem Repertoire, das ich spielen wollte. Ich würde gar nicht behaupten, dass das ein großer Erfolg ist, aber dass das, was ich tue, mir entspricht. Und ich glaube, das hat so gut funktioniert, weil ich von Anfang an wusste, was mir wichtig ist. Als ich jünger war, haben manche Leute von mir erwartet, jedes Angebot anzunehmen. Wenn ich einen Rat an junge Musiker geben sollte, würde ich sagen, Ihr müsst lernen, „nein“ zu sagen. Denn „nein“ zu sagen bedeutet, dass man sich selbst kennt, dass man weiß, was man will, wie man es will, was die eigenen Stärken sind – und die Schwächen. Man kann eben nicht alles spielen. Das gilt zumindest für mich, da ich sehr langsam im Lernen von neuem Repertoire bin. Man muss seine Grenzen kennen – die sich im Laufe der Zeit natürlich verändern. Und diese Evolution musst Du akzeptieren. Wenn du Glück hast, hast du Menschen um dich herum, die dich gut kennen und die dir in diesem Prozess helfen. Aber es gibt immer auch Leute, die dich immer weiter voran treiben wollen, denen man sich widersetzen muss.

Wird dieser Druck mehr?

Nein, der war am Anfang stärker. Insbesondere als ich diesen total unerwarteten Erfolg mit meiner CD mit Bach-Konzerten hatte. Manche Leute werden vom Erfolg angezogen. Aber man sollte sich auf die konzentrieren, die sich wirklich für dich und deine Arbeit interessieren.

Sie meinen, je größer der Erfolg, desto stärker der Druck?

Eher: Je größer der Erfolg, desto höher das Risiko sich selbst zu verlieren. Und Dinge zu akzeptieren, die du vielleicht nicht akzeptieren solltest. Und das Paradoxe daran ist ja: Wenn man erfolgreich ist, kann man eigentlich leicht sagen, was man will. Umso erfolgreicher Leute sind, umso mehr haben sie Angst, diesen Erfolg zu verlieren. Aber das ist ein Irrtum, Erfolg kann man nicht kultivieren. Musiker, die nur nach Erfolg schielen, sollten einen anderen Job ausüben. Wenn ich nur an Erfolg interessiert wäre, würde ich die Dinge anders machen: ein anderes Repertoire spielen, Dinge tun, gegen die ich mich bisher verweigere. Aber das tue nicht, ich mache einfach Musik und versuche, mein Bestes zu geben.

Gibt es etwas in Ihrem Leben als Pianist, das Sie ändern würden, wenn Sie könnten?

Weniger Konzerte geben und eine Maschine bekommen, mit der ich all das Reisen vermeiden könnte. Teleportation: Damit käme ich nach Tokio und nach der Probe wäre ich in Paris bei meiner Familie und zwei Stunden später wäre ich wieder zurück für das Konzert, das wäre großartig.

Vielleicht könnten wir auch „mit Glenn Gould verglichen werden“ auf diese Liste setzen. Einer der Gründe, warum Sie immer wieder verglichen werden, ist Ihre etwas gebeugte Haltung am Klavier.

Ja, dieser Vergleich erscheint mir total absurd, den habe ich nie verstanden. Die Haltung ist ein Ergebnis vieler verschiedener Einflüsse. Sie verändert sich über die Zeit und hängt auch vom Werk ab. Wenn es mehr Kraft erfordert, muss man sich mehr öffnen und die Arme mehr benutzen. Manchmal hängt das auch einfach davon ab, ob ich müde bin oder nervös.

Ist das überhaupt ein Thema für Sie, wie Sie auf der Bühne wirken?

Ich habe mich im Video gesehen, als mal ein Film von mir gemacht wurde. Aber ich mag das nicht, ich kann mir das wirklich nicht anschauen. Da habe ich auch gesehen, dass ich alle möglichen Grimassen mache, was auch nicht schön ist. Aber das ist eben so. Wenn ich spiele, konzentriere ich mich nur auf die Musik. Ich denke tatsächlich nicht darüber nach, wie das aussieht; vielleicht sollte ich das mal tun. Aber eigentlich ist mir viel wichtiger, dass die Leute nicht auf mich, sondern auf die Musik achten.

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