Wenn die Konzerthäuser im Land die Segel ihrer Veranstaltungen für die Sommerpause eingeholt haben, nimmt das Schleswig-Holstein Musik Festival (SHMF) seine Fahrt auf. Zwei Monate lang, vom 5. Juli bis 31. August, bringt es die Stars der Klassik, aufstrebende junge Künstlerinnen und Künstler sowie talentierte Newcomer aus Nah und Fern auf große und außergewöhnliche Bühnen zwischen Nord- und Ostsee, zwischen Südjütland und der Elbe. Auch die „Musikfeste auf dem Lande“ haben sich mit ihrer zwanglosen Atmosphäre und der einzigartigen Kulisse vor pittoresken Gutshöfen in die Herzen kleiner und großer Besucher geschrieben. 2025 hat Deutschlands größtes Klassikfestival überdies einen besonderen Anlass zum Feiern: Nach dem Gründungskonzert im Juli 1985 lädt das SHMF zu seiner nunmehr vierzigsten Ausgabe ein.

Langjährige Verbundenheit mit dem Schleswig-Holstein Musik Festival
Zu den engen Weggefährten des Festivals zählt der Principal Conductor des Schleswig-Holstein Festival Orchestra, Christoph Eschenbach. Der Maestro selbst wurde vor wenigen Wochen 85 Jahre alt – im hohen Norden schenkt man ihm eine eigene Konzertreihe, die er mit Khatia Buniatishvili, Stathis Karapanos und weiteren musikalischen Freunden gestaltet. Auch Anne-Sophie Mutter teilt eine lange Geschichte mit dem Festival. 1986 spielte sie gemeinsam mit Mstislaw Rostropowitsch und dem von Eschenbach geleiteten Royal Philharmonic Orchestra Brahms’ Doppelkonzert. Zum Jubiläum kommen die Geigerin und das Londoner Orchester in die Holstenhalle nach Neumünster (27.8.), im Gepäck haben sie unter anderem John Williams’ zweites Violinkonzert, das eigens für Mutter komponiert wurde. Ein besonderes Ständchen trägt Stefan Vladar vor: In der Scheune von Gut Hasselburg (31.7.) wiederholt er sein Programm mit Sonaten von Mozart, Beethoven und Schubert, das der Pianist einst als Zwanzigjähriger bei der ersten Ausgabe des Festivals gespielt hat.

Istanbuls vielfältige Musikszene
Zeichnen Exzellenz und Entdeckerfreude das Festival seit vierzig Jahren aus, hat es sich in seiner inhaltlichen Ausrichtung immer wieder neu erfunden. Nach Länderschwerpunkten und Komponisten-Retrospektiven fokussiert das SHMF seit 2023 auf die Musikmetropolen der Welt. In diesem Jahr gilt es Istanbul zu entdecken. So vielfältig die Millionenstadt am Bosporus ist, so facettenreich ist seine Musikszene. Davon zeugt das Kolektif Istanbul, eine der begehrtesten Bands der Stadt, die ganz selbstverständlich anatolische und thrakische Musik mit Jazz, Funk und elektronischen Klängen verbindet. Das Ergebnis heißt „Nobody’s Wedding Party“ und ist bei einem Open-Air-Konzert auf der Kieler Krusenkoppel (31.7.) und in der Lübecker Kulturwerft Gollan (1.8.) zu erleben. Traditionelle und neue Perspektiven auf das türkische Kunstlied und seine Verbindungen zum europäischen Barock eröffnen wiederum der Pianist Kaan Bulak und sein Ensemble in der Elbphilharmonie (23.8.). Als Sängerin erweckt Gaye Su Akyol die „Traumklänge“ zum Leben.
Liebhaber der Klaviermusik hingegen sollten sich die Termine von Serra Tavsanli, Hüseyin Sermet und İlyun Bürkev vormerken, die für drei Generationen der türkischen Pianistik stehen. Erstgenannte lädt das Publikum in Kiel (22.8.) und Lübeck (23.8.) ein zu einer Reise „in das Haus meiner Kindheit, in dem Griechen, Armenier, Juden und Türken in friedlicher Nachbarschaft leben“, musikalisch ausgedrückt durch Werke von Bach über Schumann bis Konstantia Gourzi. Die erst sechzehnjährige İlyun Bürkev zählt ihrerseits zu den aufsteigenden Sternen am Klavierhimmel und beweist sich in Hamburg (2.9.) mit Edvard Griegs Klavierkonzert. Zur Seite steht ihr dabei das Turkish National Youth Philharmonic Orchestra unter Cem Mansur. Betörende Tastenträume eröffnet auch der erfahrene Hüseyin Sermet (29.8.), wenn er u. a. Liszts Klaviersonate humoristischen Fantasien von Charles-Valentin Alkan gegenüberstellt.

Fazıl Say in Doppelrolle
In Einklang mit der Entscheidung für Istanbul als diesjährige Musikmetropole kommt auch der Fokuskünstler der Jubiläumsausgabe aus jener Megacity an der Grenze zwischen Okzident und Orient: Fazıl Say. In insgesamt siebzehn Konzerten wird die Ausnahmepersönlichkeit, die Musik als ein universelles Medium und Brücke zwischen Kulturen versteht, ihre Residenz beim SHMF gestalten. So präsentiert sich Say in der Lübecker Musik- und Kongresshalle (17.8.) etwa zugleich als Solist in Robert Schumanns hochemotionalen Klavierkonzert und als Komponist, wenn die NDR Radiophilharmonie anschließend seine klangschöne und schwelgerische zweite Sinfonie „Mesopotamia“ aufführt. Zwei Tage später erklimmt er in Hamburg (19.8.) den Gipfel der Barockliteratur mit Bachs „Goldberg-Variationen“, im Kuhstall von Pronstorf (22.8.) und der Kieler Petruskirche (23.8.) hingegen erweist er sich als einfühlsamer Kammermusikpartner und genialer Liedkomponist.
Wie gut sich seine zeitgenössische Musik in ein klassisches Programm neben Werken von Bach und Dvořák einfügt, ist Ende August in der Elbphilharmonie (26.8.) nachzuhören, wenn u. a. Selina Ott und Gábor Boldoczki dessen farbenreiches Konzert für zwei Trompeten und Orchester spielen. Das fulminante Finale seiner Residenz (1.9.) gestaltet Say gemeinsam mit dem prominentesten Klangkörper Istanbuls, dem Borusan Istanbul Philharmonic Orchestra, und spannt dabei den Bogen von Ravels leichtfüßigem G-Dur-Klavierkonzert und Gershwins spritziger „Rhapsody in Blue“ bis zu seiner sechsten Sinfonie, die er 2022 zum hundertsten Jahrestag der Gründung der türkischen Republik komponiert hat.