Opern-Kritik: Salzburger Festspiele – Simon Boccanegra

Im Würgegriff der Vergangenheit

(Salzburg, 15.8.2018) Nicht zum Mitsummen, dafür ein Verdi zum Berührtwerden: Andreas Kriegenburg, Valery Gergiev und eine fürwahr festspielwürdige Sängerriege stehen im Premierenjubel.

© Salzburger Festspiele/Ruth Walz

Simon Boccanegra 2019: Luca Salsi (Simon Boccanegra), Charles Castronovo (Gabriele Adorno), Marina Rebeka (Amelia Grimaldi)

Der Jubel nach dieser Salzburger Premiere war groß und einhellig. Und er war nachvollziehbar. Denn Verdis selten gespielter Politthriller „Simon Boccanegra“ aus dem Genua der Dogenzeit entfaltete seine Wirkung. Musikalisch auch ohne werbekompatible Hits, dafür aber in handverlesenen Kehlen auf Festspielniveau. Und szenisch durch ein Crescendo der Gefühle. Wobei sich Regisseur Andreas Kriegenburg einer historischen Einordnung oder Überschreibung genauso entzieht wie einer bewussten Feinzeichnung der Charaktere durch eine ambitionierte Personenführung. In seinen Operninszenierungen bleibt er längst betont moderat. In einem keineswegs despektierlichen Sinne festspielkompatibel. Kein Anlass für einen Aufreger beim Publikum.

Eine nur leicht aufgehübschte, aseptische Betonbrutalität

© Salzburger Festspiele/Ruth Walz

Simon Boccanegra 2019: Ensemble

Simon Boccanegra 2019: Ensemble

Kriegenburg hat früher seine Bühnenbilder selbst entworfen – aber auch mit Harald B. Thors gewaltigen, fast abstrakten Bühnenbauten gelingt es, die heikle Riesenbühne im Großen Festspielhaus zu füllen; den Eindruck intimer Räume auch in der Weite zu erwecken. Was hinter dem zunächst flatternden weißen Vorhangtuch sichtbar wird, ist ein nur leicht aufgehübschte, aseptische Betonbrutalität. Rechts dominiert ein Rundbau im imperialen Stil mit Treppen, Tribüne für die Worte ans Volk und einer Anmutung wie die Architektur aus Mussolinis Zeiten. Links eine schräge Decke – hinten zwei knappe Ausschnitte. Mal sieht man da das Meer, mal einen Horizont im Flammenschein einer Revolte. Alles nur angedeutet. In der Wand eine Bar – schließlich braucht es in diesem Stück eine Karaffe mit Wasser, in die der Oberfiesling Paolo Albiani Gift schüttet, um den amtierenden Dogen zu vergiften. Diesem Paolo müsste in der Gestalt von André Heyboer eigentlich jeder ansehen, dass er selbst gemeint ist, als der Doge ihm einen öffentlichen Fluch auf einen Entführer, der noch nicht entdeckt wurde, abverlangt.

Ein großes Verdi-Thema: Die große Tochter-Vater-Liebe

© Salzburger Festspiele/Ruth Walz

Simon Boccanegra 2019: Luca Salsi (Simon Boccanegra), Ensemble

Simon Boccanegra 2019: Luca Salsi (Simon Boccanegra), Ensemble

Im Hintergrund taucht schließlich noch ein kleiner künstlicher Urwald auf. Links daneben ist ein Konzertflügel postiert. Es sorgt für Heiterkeit im Publikum, wenn sich der Doge, als schon das Gift zu wirken beginnt, auf dem Instrument ausstreckt, und mitbekommt, wie sein potentieller Schwiegersohn sich zunächst als Attentäter versucht, aber dann doch nicht traut. Zum Glück für ihn. Diesem jungen Mann und schmachtenden Tenor, der ganz zu recht auf einer Liste mit Attentätern und Umstürzlern steht, die den Dogen beseitigen wollten, steht in der kurzen Restzeit der Oper noch einiges bevor. Erst darf er mit Verblüffung – und von Verdis sehr effektvoll komponiert – zu Kenntnis nehmen, dass das enge Verhältnis, das seine Angebetete Amelia offensichtlich zum viel älteren Dogen hat, tatsächlich „nur“ eine Tochter-Vater-Liebe ist. (Das ist eine der Passagen, in denen sich die komplizierte Vorgeschichte des Prologs, die sich ein Vierteljahrhundert vorher zutrug, im Stück eine Rolle spielt.) Nachdem er das Ruck-zuck verarbeitet hat, verwandelt sich dieser Gabriele von einem zum Aufstand versessenen Wüterich zum Streiter für Frieden und Versöhnung an der Seite des Dogen, zu dessen Schwiegersohn und schließlich sogar zu seinem Nachfolger im Amt! Was ja selbst in einem Melodrama-Libretto aus der Mitte des 19. Jahrhunderts eine beachtliche Karriere ist. Im Sterben bittet der Doge seine Senatoren darum, Gabriele zum Dogen zu machen. Großes Standbild-Tableau der Ergriffenheit (die durchaus übergreift) – Vorhang und ein (deutlich zu früh) einsetzender Beifall.

Modische Handys und der Setzkasten heutiger Regisseure

© Salzburger Festspiele/Ruth Walz

Simon Boccanegra 2019: Marina Rebeka (Amelia Grimaldi), Charles Castronovo (Gabriele Adorno)

Simon Boccanegra 2019: Marina Rebeka (Amelia Grimaldi), Charles Castronovo (Gabriele Adorno)

Ein Verdienst von Kriegenburgs Inszenierung ist der Versuch, durch szenische Übersichtlichkeit den Zugang zum Wirrwarr des überkommenen Hasses zu ermöglichen. Wobei Tanja Hofmanns Kostüme keine großen Unterschiede zwischen den Parteien machen. Businessgrau von heute herrscht bei den Patriziern ebenso wie bei den Plebejern. Der Doge hebt sich etwas ab, und Amelia trägt ein hellblaues Kleid. Es gibt nur ein eher symbolisches Schwert (über der kleinen Bar für die bewusste Karaffe). Ansonsten wird mit gezückten Handys und dem Fake News-Gift in WhatsApp-Sprechblasen gekämpft. Eine Mode, die heute zum Setzkasten der Regisseure gehört wie früher die Maschinenpistolen oder wiederum davor die blitzenden Schwerter. Erst bewegen sich die Verschwörer (bzw. „Wahlkämpfer“) gebeugt auf ihre Displays starrend über die Bühne von links nach rechts. Dann sind es die Verwalter(innen) der Macht. Eine gewisse Ausnahme ist René Pape als der große Gegenspieler (und wegen der Vorgeschichte Erzfeind Simons) Jacopo Fiesco. Einer der unversöhnlich ist und ohne Zweifel selbst das Format zum Dogen hätte. Einer der ihn hasst, aber dem so etwas wie Giftmord oder Entführung einer junge Frau zutiefst zuwider sind. Dass er und der Doge am Ende zueinander finden, und der Doge dann doch stirbt, ist berührend. Großes italienisches Opernpathos halt, das es auch sein will.

Ein deutsches Wagner- und ein italienisches Verdi-Schwergewicht begegnen sich auf Augenhöhe

© Salzburger Festspiele/Ruth Walz

Simon Boccanegra 2019: René Pape (Jacopo Fiesco), André Heyboer (Paolo Albiani), Ensemble

Simon Boccanegra 2019: René Pape (Jacopo Fiesco), André Heyboer (Paolo Albiani), Ensemble

Was natürlich besonders deshalb funktioniert, weil sich mit René Pape und Luca Salsi ein deutsches Wagner– und ein italienisches Verdi-Schwergewicht auf Augenhöhe begegnen. Beide sind schlichtweg grandios. Der Eine mehr aus der Düsternis der Vergangenheit kommend und im Hintergrund. Der andere privat und politisch auf offener Bühne oft der Verzweiflung über die Wirkungslosigkeit seiner Bemühung um inneren Frieden nahe. Dazwischen strahlt die jugendliche Leidenschaft von Charles Catronovos Gabriele Adorno, der selbst als Möchtegern-Attentäter nicht alle Sympathien verspielt. Marina Rebeka ist eine überzeugende, wenngleich manchmal etwas schrille Amelia.

Anders als bei den Bayreuther Festspielen überzeugt Valery Gergiev in Salzburg voll und ganz

© Salzburger Festspiele/Ruth Walz

Simon Boccanegra 2019: Charles Castronovo (Gabriele Adorno), Luca Salsi (Simon Boccanegra), René Pape (Jacopo Fiesco), Marina Rebeka (Amelia Grimaldi)

Simon Boccanegra 2019: Charles Castronovo (Gabriele Adorno), Luca Salsi (Simon Boccanegra), René Pape (Jacopo Fiesco), Marina Rebeka (Amelia Grimaldi)

Die Wiener Philharmoniker erfüllten ihre Rolle als Salzburger Hausorchester mit Bravour. Und auch Valery Gergiev, dem gerade in Bayreuth sein „Tannhäuser“, wenn nicht um die Ohren flog, so doch hier und da entglitt, überzeugt im offenen Graben des Festspielhauses mit Verdi voll und ganz. Manchmal bewusst schroff akzentuierend, kleine surreale Momente auskostend, ist das ein packender Verdi. Ein Thriller in der für den großen Italiener so typischen Art von scheiternder Lovestory und Haupt- und Staatsaktion. Die ist es auch auf der Bühne, weil Kriegenburg sich auf die Hauptkonflikte ebenso konzentriert, wie er es bei der Illustration des turbulenten Drumherums bei ein paar Zeichen belässt.

Salzburger Festspiele
Verdi: Simon Boccanegra

Valery Gergiev (Leitung), Andreas Kriegenburg (Regie), Harald B. Thor (Bühne), Tanja Hofmann (Kostüme), Andreas Grüter (Licht), Peter Venus (Video), Luca Salsi (Simon Boccanegra), Marina Rebeka (Amelia Grimaldi), René Pape (Jacopo Fiesco), Charles Castronovo (Gabriele Adorno), André Heyboer (Paolo Albiani), Antonio Di Matteo (Pietro), Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, Wiener Philharmoniker

Weitere Termine: 18., 20., 24., 27. & 29.8.2019

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